Bis Februar 1999 war ich bei den Zeugen Jehovas, 9 lange Jahre lang. Ende 1990 habe ich mich aus tiefer Überzeugung heraus taufen lassen. Kurz darauf sind mein Noch-Ehemann und ich in die nähe von Hamburg gezogen.

Ich hab geglaubt, wir würden bei einer Versammlung von immerhin 127 Verkündigern schnell Anschluss finden. Sind dort wirklich sehr herzlich aufgenommen worden, leider sind im Laufe der Jahre die Kontakte nicht intensiver geworden.

1991 kam unsere Tochter zur Welt, 1995 unser Sohn. Wir waren in 4 Jahren in 4 verschiedenen Buchstudien, wie ich hinterher erfahren habe (von unserem VA) mussten wir eines wegen unserer Kinder verlassen, als das vorletzte aufgelöst wurde, bekamen alle eine neue Zuteilung - nur wir nicht. Unser VA hat sich erbarmt und in sein Studium genommen. 1993 ließ mein Mann sich taufen und war ebenso voll von Eifer wie ich. Aber mit 2 Kindern in einer Versammlung, wo alle Familien, die ebenfalls welche haben, weggezogen sind, zu bestehen ist schwer.

Kurz nach seiner Geburt war unser Sohn schwer krank - springende Gelbsucht mit über 41 Fieber. Blutaustausch haben die Ärzte gesagt. Von unserem Sekretär bekam ich noch die Telefonnummer einer Klinik, die die Blutfrage respektiert, danach nichts mehr - kein Nachfragen wie es geht, kein Mitgefühl. Die Versammlung war ja damit beschäftigt, einen schönen neuen Königreichssaal zu bauen, das war natürlich wichtiger, als sich um den Kummer einer kleinen Familie zu kümmern. Aus dem Krankenhaus entlassen, bin ich hin zur Baustelle. Als ich meinen Sohn im Cafeteriazelt stillen wollte, fragte mich eine gleichaltrige Schwester, ob ich dies nicht auf der Toilette tun könne.

Als der Saal fertig war, haben sie mich in die noch nicht fertig ausgebaute Wohnung für Sonderpioniere gesteckt, wenn ich stillen wollte. Da der kleine Mann noch so schwach von der Gelbsucht war, hab ich dort oft über eine Stunde gesessen. Ohne Licht, ohne Heizung (im Herbst/Winter!) und ohne Lautsprecher, so dass ich am Programm nicht teilnehmen konnte. Mein Mann wurde dazu verdonnert unten am Treppenfuß dafür zu sorgen, dass niemand zu uns herauf kommt. Während der Bestimmungsübergabe haben sie mich zum Stillen in die Abstellkammer geschickt. Als eine Schwester diese besichtigen wollte, fragte sie unwirsch, warum ich die Tür nicht verschlossen hätte. Irgendwann hab ich mir dann eine Schreibtischlampe mitgenommen, damit es nicht mehr so stockdunkel dort oben war.

Irgendwann war in der Wohnung Ältestenbesprechung, da hab ich mich einfach in Klasse B gesetzt. Oha, das war zuviel. Die Blicke, die ich mir dafür eingefangen hab waren schon stark. Eine Schwester meinte, so etwas gehöre sich nicht. Für jeden Pieps des Kleinen haben sie mich nach Nebenan geschickt, einmal hat ihn mir sogar ein Ältester wieder auf den Schoß gedrückt, weil er innerhalb unserer 4-sitzigen Stuhlreihe, in der niemand außer meiner Familie saß, an den Stühlen seine 1. Schritte machte. Später ist mein Mann jedes 2. Wochenende zum Programmieren für die Bauregion gegangen. Unter der Woche war er in der Nähe von Köln tätig. Glaubt Ihr, irgendeiner meiner Brüder hätte mal gefragt, wie ich mich fühle so alleine zu hause? Da mein Sohn die ersten 3 Jahre viel krank war, klappte es auch mit dem Predigtdienst nicht mehr so richtig. Unterstützung, damit ich gehen konnte? Fehlanzeige. Freiwillige, die meine 7-jährige Tochter mit in den Dienst nehmen? I wo, nicht dran zu denken. Wie hat die Maus geweint, sie wollte so gerne mal mit anderen als den Eltern in den Dienst.

Irgendwann hieß es dann, wir können keine Wärme in der Versammlung erwarten, wenn wir selber keine hinein bringen. Da hab ich mich entschlossen, 1x die Woche für unsere Pioniere zu kochen. Ich dachte, ich könnte mich von ihrem Pioniergeist anstecken lassen. Wie naiv ich doch war. Keiner hat den Versuch unternommen, mich mit einzubeziehen oder wenigstens mal Danke zu sagen. Als ich nach einem halben Jahr aufgegeben hab, weil mein Mann aus Glaubensgründen arbeitslos wurde (er hatte sich geweigert mit gestohlener Software zu arbeiten) und uns das Geld ausgegangen ist, meinte eine Pionierschwester nur: "Das hab ich mir gedacht, dass ihr kein Geld mehr habt, es gab ja gestern nur Bratkartoffeln." Das hat gesessen. Wie wir uns gefühlt haben, grad ein Haus gekauft, ein Baby bekommen und dann die Arbeit zu verlieren, danach hat keiner gefragt. So kam eines zum anderen. Irgendwann hab ich um ein Gespräch mit den Ältesten gebeten und ihnen geschildert, wie einsam ich mich fühle. Der eine meinte, ich hätte Depressionen, der andere sagte, er wisse gar nicht was ich wolle, er hätte auch nur seine Frau. Dass mein Mann am anderen Ende von Deutschland gearbeitet hat und nur am WE nach Hause kam, ist ihm anscheinend völlig entgangen. Man hat mir nahe gelegt, mehr zu studieren und intensiver zu beten, dann würde alles schon wieder werden, mir würde es an der nötigen Demut fehlen.

Ende 98 kam dann die Krise in meiner Ehe, wir hatten außer der Versammlungszugehörigkeit nicht mehr viel gemeinsam und ich war derart kreuzunglücklich und einsam, dass ich über´s Internet einen Mann kennen gelernt und meinen Mann mit diesem bei einem Kurzurlaub in Österreich betrogen habe. Nicht aus Böswilligkeit sondern aus Verzweiflung.

Der von meinem Mann kontaktierte VA der Versammlung ist Rechtsanwalt. Der hat meinem Mann geraten, die Schlösser für unser Haus auzuwechseln, das gemeinsame Konto zu sperren und das Sorgerecht für die Kinder zu beantragen. Dass das Haus mit einem Darlehen MEINER (ungläubigen) Eltern gekauft wurde hat dabei niemanden interessiert. Zum Glück hat mein Mann sich aber eines Besseren besonnen. Durch den Ehestress hat mein Mann dann Ende 1998 einen kurzen aber heftigen Rückfall nach 13 Jahren als trockener Alkoholiker gebaut. Die Ältesten die am nächsten Tag kamen hatten keinen Trost für mich, mir keinen Mut zugesprochen oder Mitgefühl mit meinem Mann gezeigt. Nein, sie haben mir gesagt, dass wir schwierige Menschen wären und dass wir uns das alles selber zuzuschreiben hätten. Ich solle den Rückfall nicht so ernst nehmen und beten.

Nach der Entlassung aus der Suchtklinik hat mein Mann dann eine sehr schwere Lungenentzündung bekommen, an der er beinahe gestorben wäre - der psychische Druck war einfach zu groß für ihn. Auch hier wieder kein Halt bei den Ältesten zu finden. Da hab ich dann innerlich den Strich unter mein Zeugen-Jehovas-Dasein gezogen. Ein paar Monate bin ich mit dem Gedanken an den Austritt schwanger gegangen und als ich dann eine Beziehung mit meinem jetzigen Lebensgefährten eingegangen bin, hab ich den bewussten Brief geschrieben als die Ältesten uns überrascht haben.

Nun versuche ich das Leben für meine Kinder und mich wieder in den Griff zu bekommen. Mein Mann, der anfangs sehr böse war und mir nahegelegt hatte, mit einem anderen zu schlafen, damit er sich von mir scheiden lassen kann, hatte in der Zwischenzeit begriffen, wie mir in all den Jahren zumute war und hat kurz nach mir die Gemeinschaft verlassen. Bei seinem letzten Gespräch hat der VA zu ihm gesagt, dass das Einhalten der Regeln wichtiger sei als die Liebe.

Meine Tochter, 7 Jahre treu im Glauben aufgewachsen, hatte anfangs große Schwierigkeiten mit meiner Entscheidung, sie wollte wieder zurück. Aber dank unserer Pastorin, mit deren Tochter sie sich angefreundet hat, nach unserem Umzug nach Hamburg, hat sie sich wieder gefangen.

Nur mir sitzt die Angst manchmal noch im Nacken, so bin ich während der Sonnenfinsternis tausend Tode gestorben und auch Silvester war für mich nicht gerade ein Freudenfest - Harmagedon immer im Nacken. Ein Verhältnis zu einem liebenden Gott? Ich glaube nach wie vor, dass es ihn gibt, nur kann ich mit dem Thema einfach nicht umgehen. Zu tief sitzt die Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit meiner ehemaligen Brüder und Schwestern.

Ob ich mich jemals wieder einer christlichen Organisation anschließen werde? Ich glaube nicht, so vieles widerspricht dem, was ich in meinen ZJ-Jahren gelernt habe (oder eingetrichtert). Ich habe keinen Hass gegen die ZJ, nur unendliche Traurigkeit ist in mir. Nie werden meine früheren Weggefährten verstehen, warum ich gegangen bin, denn meine Gedanken sind ja jetzt von Satan inspiriert und ich bin für sie nur noch ein Mensch 2. Klasse.

Antje Floetenmeyer, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.