Sie liebte ihre drei Kinder. Sie hatte zwei Arbeitsstellen, um sie zu unterstützen, da ihr Ex-Mann es anscheinend nicht fertigbringen konnte, mit der Unterstützung für die Kinder beizukommen.

So war es nichts weniger als ein Schock, als wir alle hörten, daß genau dieser Ex-Mann eine Klage um das Sorgerecht für das älteste Kind, einen 13-jährigen Jungen, eingereicht hatte. Der Schock wandelte sich in Ungläubigkeit, als wir erfuhren, daß der Junge, Eric (Name geändert), der seine zwei kleinen Schwestern vorbehaltlos liebte, bei seinem Vater leben wollte. Warum? Nun, es ging dabei um Gott.

Sorgerechtsfälle sind unveränderlich häßlich und die Gefühle kochen hoch, aber ständig sind die Kinder die Verlierer. In diesem Fall war die Mutter, Barbara, eine Freundin von mir. Ich wußte, daß sie eine Zeugin Jehovas war, sie wußte, daß ich Atheistin war, so braucht nicht gesagt zu werden, daß wir nie über Religion sprachen. Sie machte einen tapferen Versuch, mich in Jehovas Wohnwollen einzuführen. Ich erwiderte ruhig, indem ich ihre Aufmerksamkeit auf die Folgen dieses Wohlwollens lenkte - Kriege, Hunger, den Holocaust -, und sie ließ das Thema fallen. Aber ich träumte nie, daß ihr unerschütterlicher Glaube der Grund sein würde, daß sie ihren Sohn verlor - rechtlich und gefühlsmäßig.

Eric war etwa neun Jahre alt, als sich seine Eltern scheiden ließen, und es war vielleicht kein Zufall, daß seine Mutter kurz darauf von einer unbestimmten Protestantin dem Namen nach zu einer leidenschaftlich begeisterten Zeugin Jehovas konvertierte. Diese Türklingler fanden eine glühend aufnahmefähige Rekrutin in Barbara. Sie war in ihrem Element. Damals waren ihre Töchter, Jamie und Denise, gerade einmal drei bzw. ein Jahr alt und kannten noch keinen Gott. Doch Eric entschied schon bald, obwohl er ursprünglich den neuen Gott akzeptierte, daß er mit diesem unnachgiebigen, fordernden Jehova nichts zu tun haben wollte. Er wurde ein neunjähriger Abtrünniger.

Mit der Inbrunst, die nur in Neubekehrten zu finden ist, verfolgte Barbara das arme Kind, unerbittlich in ihren Bemühungen, "etwas Jehova" in ihn hineinzubekommen. Je mehr sie drängte, um so mehr Widerstand leistete er - der Ausgang läßt sich recht gut vorhersehen. So unglaublich es klingt: Ihre geistigen Führer kamen zu dem Schluß, weil Eric ursprünglich aufnahmefähig gewesen war (im Alter von neun), aber nun dem Glauben "abschwor", sei er ein Sünder. Und Sünder mußten bestraft werden. Als Barbara und ihre verwirrten kleinen Mädchen ("Mama, warum kommt Eric nicht mit uns?") zu ihren zweimal wöchentlich stattfindenden Jehovas-Zeugen-Treffen gingen, wurde Eric gegen seinen Willen mitgenommen, aber alleine im Auto gelassen. Am Abend. Für zwei Stunden oder mehr. Zweimal die Woche.

Das ging fast zwei Jahre so, bis sich Eric schließlich bei seinem Vater darüber beschwerte. Ich hatte keine Idee, daß das vor sich ging. Aber leider war ich anderer Aspekte der religiösen Tätigkeit von Barbara gewärtig. Einmal, als sie nach der Arbeit an meinem Haus hielt, rief sie zu Hause an, um dem Babysitter zu sagen, daß es bei ihr etwas später würde. Jamie, jetzt etwa sechs, kam ganz aufgeregt an das Telefon und erzählte ihrer Mutter, sie sei "stark für Jehova" gewesen. Jamie hatte sich geweigert, an einem Projekt in ihrer Kindergartenklasse teilzunehmen, wo Weihnachtsdekorationen gebastelt wurden - Schneemänner und Schneeflocken. Nichts, was da mit Religion zu tun gehabt hätte. Aber da Jehovas Zeugen kein Weihnachten feiern, war das Ausschneiden von Schneemännern irgendwie etwas Sündiges. Da war also ein süßes, kleines sechsjähriges Mädchen, das sich über glitzernder und zusammengeklebter Dekoration selbst eine Ächtung auferlegte, und eine Mutter, die vor Freude strahlte, weil ihre Tochter "stark für Jehova" gewesen war. Es war schmerzlich und deprimierend. Die kleine Jamie trug eine Last, die für solch kleine Schultern viel zu groß war.

Als ich schließlich von den Abenden erfuhr, die Eric im Auto eingeschlossen war, war ich entsetzt. Das Bild von diesem kleinen Jungen, jetzt fast dreizehn, wie er ganz alleine und in seinem Parka zitternd in einem parkenden Auto eingeschlossen war, machte mich ganz krank. Ich hörte von diesen kleinen Abenteuern erst, als die Sorgerechtsklage lief. Ich kann verstehen, daß Barbaras nur widerstrebend darüber erzählen wollte, aber ich konnte nicht ihre Handlungsweise verstehen. Ich fragte sie, wie sie ein Kind so behandeln könne! Als Rechtfertigung bot sie die Jehova/Sünder-Geschichte an und beendete das Gespräch abrupt. Sie beendete auch abrupt unsere Freundschaft. Ich nehme an, ich stand für sie mit dem Teufel im Bunde.

Das Tragische an alledem ist, daß Barbara ihre Kinder wirklich liebte. Ich kann mir die Konflikte nicht vorstellen, die sie durchmachte, als sie ihren Sohn so behandelte. Es brach ihr das Herz, als das Gericht ihr Eric wegnahm, aber ich sehe auch nicht, wie sie etwas anderes hätte erwarten können.

Kann man aus dieser furchtbaren Geschichte etwas lernen? Nun, außer, daß man beim Klingeln nicht mehr an die Tür geht, gibt es da vielleicht etwas. Bei allem Streit zwischen uns Freidenkern/ Humanisten/Atheisten/usw. können wir in einer Sache einig sein: Niemand von unseren Gruppen würde zulassen, geschweige denn fordern, daß ein Elternteil ein junges Kind des abends unbeaufsichtigt im Auto läßt. Das Ziel des Humanismus ist anspruchsvoll, aber lohnend -- das beste Leben, das für einen auf der Erde möglich ist. Und darin hätte ein zitternder, verängstigter kleiner Junge keinen Platz, der verlassen wird, weil er sich nicht vor dem richtigen Gott verbeugen wollte.

Ich muß meine traurige Geschichte hier beenden. Jemand schellt an der Tür.

© 1997 Judith Hayes