Der Gemeinschaftsentzug von Frances und Richard Rawe war besonders schmerzhaft, weil sie noch fest an die "Wahrheit" glaubten. Und es war einer besonders schmutzigen seiner Art, bei dem selbst die von den Zeugen Jehovas definierten „theokratische Regeln“ missachtet wurden.

Ein Musicalschreiber, Harold Dean James (selbst als Zeuge Jehovas aufgewachsen, jedoch als junger Erwachsener ausgestiegen), ist auf diese Lebensgeschichte aufmerksam geworden und hat daraus ein Musical gemacht, das im New Yorker La Mama Theater aufgeführt wird. Damit wird erstmals das Schicksal von Opfern einer totalitären Sekte der Öffentlichkeit nahegebracht.

Unsere Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit

von Richard Rawe Richard & Frances Raw Es war ein heißer Sommertag im Jahre 1940 in Grand Coulee, Washington. Ich spielte in einem Fass Wasser auf dem Rasen vor dem Haus, als ein freundliches Paar den Hügel zu unserem Haus herauf ging. Sie kamen um eine Ladung Bücher zu liefern, die mein Vater gekauft hatte, als sie bei ihm in seinem Eisenwahrenladen im Geschäftsviertel gewesen waren. Ich rannte tropfend nass zu meiner Mutter, um zuzuhören, als die beiden von den Büchern erzählten. Sie waren Zeugen Jehovas und sie waren von Geschäft zu Geschäft gegangen, als sie meinen Vater trafen. Die Art, wie sie sprachen, war für mich, obwohl ich erst sechs Jahre alt war, sehr beeindruckend. Das anscheinend normale Ereignis hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt und ist mir noch so gegenwärtig als wäre es vor ein paar Tagen geschehen, denn es war der Beginn einer tiefgreifenden Änderung unseres Lebens und der Beginn unserer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit.

Da waren vier Leute, genannt "Pioniere" und "Sonderpioniere", die in unser Gebiet kamen um die Nachricht der Wachtturm-Religion zu überbringen. Als wir mit ihnen die Bibel weiter studierten, mochte ich einen älteren Mann ganz besonders, sein Name war Gus Gerkhe. Seine liebende Hingabe zu Gott und ehrliche Spiritualität durchdrangen seine geduldigen, detaillierten Begründungen der Schriften. Ich habe seither nur wenige Leute kennengelernt, die sich mit seiner Wärme, Liebenswürdigkeit und Geradheit im Umgang mit den Menschen vergleichen konnten und dies hat einen bleibenden Einfluss auf mich bis heute.

Zwei Jahre nach der ersten Begegnung war ich, im Alter von acht Jahren und fünf Monaten, der erste meiner Familie der am 20. September 1942 in Spokane, Washington, getauft wurde. Meine Mutter wurde im Jahr darauf getauft. Der 2. Weltkrieg wütete und Übergriffe auf Zeugen warne nicht unüblich wegen unser politischen Neutralität, der Kriegsdienstverweigerung und der Ablehnung des Flaggengrußes in einer Zeit, in der der emotionsgeladene Patriotismus seinen Höhepunkt erreicht hatte und junge Männer unseres Landes in der Schlacht starben.

Die Pioniere die zu Grand Coulee kamen, gingen schließlich in andere Städte, zwei oder drei Stunden entfernt, um neuere Versammlungen zu unterstützen. Als sie unsere Gruppe ohne einen erwachsenen Mann verließen, war es an meiner Mutter, die Rollen aller "Diener"-Positionen für unsere kleine Versammlung anzunehmen und die Treffen, die hauptsächlich in unserem Haus abgehalten wurden, für die nächsten sechs Jahre zu leiten. Ich war das einzige Zeugen-Kind in der Volksschule. Es wurde erwartet, dass ich den Klassenraum verlasse, wann immer sie der Flagge das "Treuegelöbnis" ("Pledge of Allegiance", Anm.) gaben oder sich für die Nationalhymne erhoben. Nach der Schule jagten mich einige Kinder den Hügel runter in eine Sandgrube, wo es dann zu einem Handgemenge kam. Ich schlug mit meiner kleinen Lunchbox aus Metall auf sie ein, so gut ich konnte. Dann kam ich auf die glorreiche Idee, einen Sack Steine in die Lunchbox zu packen, damit sie schwerer wurde. Ich begann, ein damals bei uns Kindern beliebtes Spottlied zu ihnen zurückzuschreien: "Two on one, two on one is [coward's] fun" (Zwei gegen einen, zwei gegen einen, ist die Lust der Feiglinge). So brachte ich sie dazu, dass immer nur ein Kind auf einmal auf mich losging und meine mit Steinen gefüllte Lunchbox wurde so zu einer wirkungsvollen Verteidigungswaffe. Die Verfolgung vergrößerte meine Überzeugung, dass wir in einem wichtigen Werk für Gott den Allmächtigen in einer Zeit des Endes (critical time, Anm.) waren und für unseren Einsatz von Satan dem Teufel angegriffen wurden.

1948 war der Nachkriegspatriotismus etwas abgekühlt und mehr Pioniere zogen in unser Gebiet, um die Bibelstudien zu unterstützen und die Versammlung aufzubauen. Dadurch wuchs die Versammlung und die Treffen wurden nicht mehr in unserem Haus, sondern in einem Gebäude meines Vaters in der Stadt abgehalten. Obwohl er nie Zeuge Jehovas wurde, war er ihnen gegenüber immer positiv eingestellt und unterstützte meine Mutter und mich in unserer Hingabe an Jehova. Deshalb waren auch andere Kinder in der Highschool, deren Familien von der Botschaft der Zeugen Jehovas angezogen worden waren. Ein Englischlehrer ließ uns in der Klasse mit Klassenkameraden evangelischen Glaubens diskutieren, um beiden Seiten die Möglichkeit zu geben, ihre Themen zu präsentieren. Eine starke Veränderung im Vergleich zu meiner Zeit in der Volksschule.

Am 1. Mai 1952, im Alter von achtzehn Jahren, begann ich meinen Vollzeit-"Pionier"-Dienst in Ephrata, Washington. Im Oktober desselben Jahres wurde eine Versammlung gegründet und ich blieb für über 22 Jahre als Pionier. Ich habe, ganz offen gesagt, wunderbare Erinnerungen an diese Jahre. Ich hatte viele erheiternde Erlebnisse, traf viele Leute unterschiedlichster Herkunft und unsere Versammlung blühte auf. Das heißt nicht, dass es nicht auch schlechte Zeiten gab oder Sorgen mit Leuten die Probleme machten. Es gab eine Zeit, da wir mit einem ziemlich ernsten Rückgang konfrontiert waren; doch wir versuchten damit entsprechend den Schriften und der Anleitung der Gesellschaft umzugehen und schließlich ordneten sich die Dinge.

Am 9. September 1962 war einTag einer meiner größten Segnungen meines Lebens, als ich meine Frau Frances heiratete. Sie war ein gläubiger Partner und wir fühlen uns göttlich geleitet in unserer gemeinsamen Suche. Meine Frau Francis wuchs in einer großen Familie in New Mexico in Armut auf, wo 75 Jahre früher ihr Großvater von Tennessee her geritten kam, um eine "spanische Landbewilligung" (Spanish land grant) zu beanspruchen. Frances sagt, sie seien arm gewesen, aber sie hätten es nicht gewusst denn wer sei schon in den Jahren der Depression nicht arm gewesen? Sie hatte die Schule während der siebten Klasse beenden müssen um mit all den Kindern in der Familie zu helfen. Die Familie war zurück nach Kansas gezogen, als Frances mit sechzehn eine Arbeit in einer nahegelegenen Stadt annahm, um die Familie zu unterstützen. Sie arbeitete als Kellnerin im besten Hotel der Stadt. Am Anfang war sie so "grün", dass die Städter sie "Linkshänder-Teetassen" kaufen schickten und sich mit ähnlichen anderen Mätzchen über sie amüsierten. Aber sie machte ihre Arbeit gut und schließlich lernte sie auch kochen. Von da an verdiente sie mehr Geld als ihr Vater und schickte pflichtbewusst den Scheck um beim Unterhalt der Familie zu helfen. Ihr Vater, obwohl Atheist, war ein moralischer und ehrlicher Mann und gab diese Werte an seine Kinder weiter und vergaß nicht einen seiner regelmäßigenväterlichen Besuche in der Stadt, um sicherzugehen, dass seine Tochter nicht in einen falschen Einflusses geriet. Er warnte vor "cliquenhaften" Religionen und dass sie die Menschen unterdrücken können. Als sie aufwuchs, gehörte Frances somit nie einer Kirche an, geschweige denn dass sie die Bibel gelesen hätte.

Einige Jahre später zog sie nach New Jersey und arbeitete im Cherry Hill an der Garden State Race Route. Sie hatte einmal die Ehre, Prinzessin Grace Kelly bedienen zu dürfen, als eine kleine Hochzeitsfeier dort für sie gehalten wurde. Sie arbeitete dort mit einer anderen Kellnerin zusammen, die Zeugin Jehovas war. Durch ihre Freundschaft war Francis' Interesse für die Bibel geweckt; 1955 kam sie in Kontakt zu den Zeugen Jehovas. Später zog Frances wieder um, diesmal in den Bundesstaat Washington, wo einige Verwandte von ihr lebten. Sie erneuerte die Kontakte zu den Zeugen Jehovas im selben Kreis in dem ich lebte. So trafen wir uns und später heirateten wir.

Meistens waren wir glücklich in diesen Jahren. Die Anleitung der Organisation diente unserer Suche bis irgendwann in den frühen 1970ern. Zunächst beinahe unmerklich gab es dann Veränderungen, die unser Leben ebenso verändern würde wie es 1940 der Besuch der Pioniere die in unser Haus in Grand Coulee kamen getan hatte, als ich sechs war; nur war die Veränderung diesmal umgekehrt.

Bezeichnenderweise begann alles 1972 als die Wachtturmgesellschaft die "Ältestenordnung" einführte um die Führung der Versammlung neu zu regeln und das vorherige System mit drei ernannten Aufseherpositionen (ein Versammlungsaufseher, ein Assistenzaufseher und ein Buchstudiumsaufseher) abzulösen. Zur selben Zeit war ich "Versammlungsaufseher" in Ephrata. Als die Anweisungen der Gesellschaft kamen, alle qualifizierten Brüder für die Führung der Versammlung in Erwägung zu ziehen, traf ich mich mit dem Assistenzaufseher und dem Buchstudiumsaufseher und den anderen getauften Brüdern unserer Versammlung um die biblischen Anforderungen an Älteste zu diskutieren (basierend auf 1. Timotheus 3:1-7, Titus 1:5-9 und 1. Timoetheus 3:8-13). Der allgemeine Konsens war, dass keiner der anderen die Kriterien erfüllte. Einige waren in zahllose Rechtsstreitigkeiten wegen zweifelhafter Geschäfte verwickelt, sowohl mit Mitgliedern als auch mit Nichtmitgliedern. Andere erachteten wir für geistig nicht "reif", die Verantwortung zu tragen, weil sie in der Versammlung unkritisch tratschten oder sogar verleumdeten. Sie hatten verschiedene unschuldige Leute zum straucheln gebracht, die in einigen Fällen schließlich die Organisation verließen. Wir waren uns bewusst, dass unsere Sicht dieser Brüder mit der allgemeinen Wahrnehmung durch dieVersammlung übereinstimmte und in Anbetracht der Verantwortung und Macht über das Leben der Menschen die diese Position mit sich brachte, beschlossen wir, dass wir sie nicht guten Gewissens für ein Ältestenamt empfehlen konnten; und deshalb waren sie erzürnt.

Aus welchen uns unbekannten Gründen auch immer wies die Gesellschaft durch den Kreisaufseher dann die Versammlung in der Nähe von Moses Lake an, unserer Versammlung diese Art der Berufung von Ältesten zu empfehlen; diese kam der Aufforderung nach. Wenn sie auch die nachfolgenden Ereignisse nicht vorsätzlich auslöste, ist die Gesellschaft doch mitverantwortlich für die Konsequenzen dieser Bestimmung, da sie erklärte, dass es sich um eine göttliche Anweisung des "heiligen Geistes" handelte. In diesem Fall wurden Männer ernannt, deren Reputationen vorher vollständig offengelegt worden war. Kann es ein Zufall sein, dass unter den ernannten dieselben Brüder waren, die wir vorher in unserer Versammlung in Ephrata abgelehnt hatten, einschließlich von zweien, die mit bestimmten Kommiteemitgliedern der Moses Lake-Versammlung verwandt waren? Einer von ihnen war der Mann, gegen den mehrere Gerichtsverfahren zur selben Zeit liefen. Der Kreisaufseher war sich dieser Tatsachen voll bewusst. In dieser Situation lehnte ich aus Gewissensgründen ab, der Versammlung als Ältester empfohlen zu werden.

Die Versammlung war dann in den Händen von machtgierigen Männern, deren Reputation von vielen von uns als zweifelhaft eingeschätzt wurde. Nicht selten war ich uneins mit diesen "Ältesten", da ich Leute in der Versammlung verteidigte, die fälschlicherweise eines Vergehens beschuldigt wurden. Beispielsweise wurden zwei junge Brüder die im Sommer und auch in anderen Zeiten Pionierdienst leisteten - einer war gerade 12 Jahre alt - der Homosexualität und des Verkaufs und Missbrauchs von Drogen beschuldigt. (Einer der Jungen verließ später die Organisation und ging zur Navy.) Es gab einen Fall eines älteren Bruders in der Versammlung, der schließlich wegen Invalidität nicht mehr gehen konnte. Die Ältesten gingen zu ihm nach Hause, beteten für ihn und erklärten ihn für geheilt. Sie befahlen ihm, seine Medizin wegzuwerfen und hinaus in den Predigtdienst zu gehen. Als er nicht konnte, beschuldigten sie ihn, mangelnden Glauben zu haben. Die seltsamste Aktion war vielleicht als sie einen nichtgetauften Musiker, der in einer Bar Klavier spielte, engagierten, die Versammlung am Sonntag zu begleiten. In der Versammlung hieß es, er sei ein Zuhälter in Wheeler, einer kleinen Stadt nicht weit von Moses Lake. Er hatte einen außerhalb wohnenden Zeugen um 40.000 Dollar betrogen und floh schließlich aus der Stadt.

Etwa zur selben Zeit erhielt Frances einen Telefonanruf von einer jungen Schwester, die zufällig mitbekommen hatte, dass das Komitee der Ältesten plante, mich auszuschließen. Wir konnten uns nicht vorstellen, welche Anklagen sie bringen würden. Dann, eines Tages im Jahr 1975, kam ein Ältester zu meiner Frau in die Kantine in der sie arbeitete. Er informierte sie von ihren Absichten, Anklage gegen mich wegen "Abtrünnigkeit" zu erheben und wies sie an, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie antwortete, dass diese Anklagen absurd seien und verweigerte strikt jede Kooperation. Sie wurde in Folge zu einem Treffen mit dem Ältesten gerufen und er klagte sie aller möglichen Arten unsittlichen Benehmens an. Er brachte seine Beschuldigungen sehr kraftvoll vor und zitierte Angriffe aus Galanter 5:19-26. Mit einem zusammengerollten Wachtturm in der Hand schlug er auf sein Knie und zeigte dann anklagend auf sie: "Das sind Sie, Schwester Rawe!" (Das heißt mit den anklagenden Worten der Bibel würde er sagen: "... Hurerei, peng! Das sind SIE, Schwester Rawe! Unreinheit, peng! Das sind SIE, Schwester Raw! Zügelloser Wandel, peng! Das sind SIE, Schwester Rawe! ..." Und so weiter.) Es gab absolut keine Grundlage für diese Anklagen. Glücklicherweise nahm sie das Treffen auf Band auf, was sich später als nützlich erwies. Bald nach dem Treffen, im Juli 1975, wurde bekannt gegeben, dassihr die Gemeinschaft entzogen worden war. Der Grund wurde nie offengelegt. Es war natürlich ein Schock und im Bemühen, die Angelegenheit entsprechend Matthäus 18 zu regeln, besuchte Frances die drei beteiligten Ältesten zu Hause, um die Angelegenheit mit ihnen persönlich zu besprechen. Sie weigerten sich, mit ihr zu sprechen. Einer von ihnen wies sie an von seiner "Türschwelle" zu verschwinden.

Die Aktionen des Komitees gegen mich wegen der angeblichen Abtrünnigkeit wurden wieder aufgenommen. Da ich mein ganzes Leben in diesem Gebiet verbracht hatte und als Zeuge aufgewachsen war, war ich im Nordwesten unter Zeugen gut bekannt, und über den Versuch mich ausschließen zu lassen, wurde in vielen Versammlungen der Region gesprochen. Unter anderem gab es dann einen erfahrenen, sehr aktiven und fähigen Zeugen in Wenatchee, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sich für unseren Fall zu interessieren begann. Als wir ihn einmal besuchten, saßen Frances und ich still bei ihm als er mit Grant Sniter, einem Mitglied der Leitenden Körperschaft, im Hauptquartier der Wachtturmgesellschaft sprach. Der wohlhabende Zeuge konnte einen solchen Anruf machen, weil er der Gesellschaft große Geldspenden zukommen ließ und zusätzlich, von Zeit zu Zeit, Schecks an Suiter und Knorr persönlich. Im Gespräch, das wir mit anhörten, fragte er, was getan werden könne in Anbetracht des Rufs der Ältesten und der Anklagen gegen einige von ihnen gegen diese Ungerechtigkeit getan werden könne. Endlich wurden wir angewiesen, einen Brief an die Leitende Körperschaft zu schreiben und die Anklagen gegen die sogenannten Ältesten aufzuzählen. Wir wurden ordnungsgemäß darauf hingewiesen, äußerste Vorsicht walten zu lassen und keine Anklagen zu machen, die nicht hundertprozentig bewiesen waren. Wir begannen also, eine Liste von Vergehen zusammenzustellen, einschließlich der Gerichtsverfahren, Erpressung von Mitgliedern und anderen, Verleumdung und ungerechte Ausschlüsse. In jedem Fall gab es entweder Bandaufnahmen, Augenzeugen oder andere Beweise,um die Anklagen zu beweisen; 70 Anklagepunkte gab es insgesamt. Frances und ich unterzeichneten den Brief beide und schickten ihn direkt an die Leitende Körperschaft. Innerhalb von zehn Tagen wurde der Brief vom Bethel an dieselben Männer geschickt worden, die in dem Brief angeklagt worden waren: die Versammlungsältesten von Ephrata. Sie beschuldigten mich JETZT sie gegenüber der Leitenden Körperschaft verleumdet zu haben und DAFÜR wurde ich schließlich im September 1975 ausgeschlossen.

Um wirklich verstehen zu können wie ernst die Lage von meiner Frau und mir eingeschätzt wurde, müssen Sie sich vorstellen, dass Zeugen Jehovas erwarteten, dass Harmagedon in demselben Jahr (1975) ungefähr Anfang Oktober kommen würde; es war weniger als ein Monat Zeit. Sehr beängstigend, in der Tat, für gläubige Zeugen Jehovas. Wir verschwendeten keine Zeit und legten sofort Berufung ein. Wir hatten Erfolg und der Kreis berief ein Berufungskomitee ein. Die Neuigkeiten hatten auch andere Versammlungen in der Nordwestregion erreicht. Offensichtlich kam Harmagedon nicht im Oktober, und wir fühlten, dass wir eine Gnadenfrist erhielten. Innerhalb von fünf Monaten wurden dreizehn ganztägige Sitzungen des Berufungskomitees mit meiner Frau, mir und zahllosen anderen auf unserer Seite. Das Berufungskomitee bewertete alle siebzig Anklagen und die von uns eingereichten Beweise. Hier muss erwähnt werden, dass uns gesagt wurde, dass wenn neunundsechzig Anklagen bewiesen seien und nur einer der siebzig nicht, so würde der Gemeinschaftsentzug aufrecht bleiben. Am Ende wurden alle siebzig Anklagen von diesem Komitee als zutreffend anerkannt und es wurde festgehalten, dass das Komitee keine Grundlage besaß, uns die Gemeinschaft zu entziehen. Unsere Ausschlüsse wurden "ABGEBROCHEN" (BEACHTEN SIE: Wir wurden nicht "wieder aufgenommen", die Ausschlüsse wurden "abgebrochen" oder anders gesagt "annulliert", als seien wir nie ausgeschlossen gewesen.)

Zuerst leugneten die Ephrata-Ältesten, dass sie etwas falsch gemacht oder gelogen hätten. Stattdessen behaupteten sie, die Ausschlüsse seien rückgängig gemacht worden, weil sie sich nicht strikt an die Prozedur gehalten hätten. Zu ihrem Ärgernis wurde jedoch angeordnet, einen Brief an alle Versammlungen zu schicken, die zuvor von unserem Gemeinschaftsentzug benachrichtigt worden waren. Er war in jeder Versammlung von der Bühne aus zu lesen. Wir waren von allen Anklagen freigesprochen. Unserer Versammlung war ein neuer Kreisaufseher zugewiesen worden und aufgrund der Neuigkeiten wurde er von Zeugen in den Versammlungen mit Fragen bombardiert, was gegen die Ephrata-Ältesten aufgrund ihres Fehlverhaltens unternommen werden würde. Zeugen und sogar ein paar Nicht-Zeugen schrieben an die Gesellschaft. Der Kreisaufseher rief schließlich die Wachtturmgesellschaft an und als nächstes erhielten wir einen Telefonanruf von ihm, in dem er uns mitteilte, die Dienstabteilung in Brooklyn hätte Anweisung gegeben, uns wieder auszuschließen. Wir waren verblüfft. Ich fragte: "Weshalb wurden wir JETZT wieder ausgeschlossen?" Er antwortete: "Aus demselben Grund wie zuvor." Ich fragte ungläubig, wie das sein konnte und fragte noch mal: "Weshalb werden wir ausgeschlossen?" Seine Antwort war wieder: "Aus demselben Grund." Kurz danach kam ein Brief der uns nochmals zu einem Treffen mit dem Komitee aufforderte. Wieder gehorchten wir und brachten 35 Zeugen mit, einschließlich Mitglieder des vorherigen Berufungskomitees. Im Angesicht von 35 Zeugen auf unserer Seite und keinem auf der Gegenseite wurde die Entscheidung "verschoben". Die Gesellschaft verweigerte uns ein unparteiisches Komitee und als dann die nächste Vorladung kam zu einem Treffen mit denselben Ältesten, begriffen wir zu guter Letzt die Sinnlosigkeit des ganzen. Zu diesem Zeitpunkt waren Korruption und fehlende Gerechtigkeit des Systems so überwältigend offensichtlich und erwiesen, dass wir uns nicht damit abgaben, auf den Brief zu antworten oder zu dem Treffen zu gehen. Als wir meine Mutter in Grand Coulee besuchten und mit ihr in die Versammlung gingen, wurde die Bekanntmachung verlesen, dass wir wieder ausgeschlossen seien. Zeugen in der Gegend waren empört vom Verlauf der Ereignisse und deren Ergebnis, dass viele die Organisation verließen, einschließlich des Zeugen in Wenatchee, der oben erwähnt wurde, und seiner Frau, die zu Beginn zu unserer Unterstützung gekommen war und alles aus der Nähe beobachtet hatte.

Mir ist klar, wie unglaublich das alles klingen mag und ich behaupte auch nicht, dass unser Fall typisch für die Zeugen Jehovas anderswo ist; ich weiß, dass es nicht so ist. Dennoch haben wir nicht unregelmäßig von Handlungen erfahren, die ebenso seltsam waren, die den Abschied der Wachtturmgesellschaft von der Gerechtigkeit dokumentieren, wenn ihre eigenen Interessen gefährdet sind. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die endgültige Entscheidung gegen uns von der Publicity beeinflusst war, den unser Fall erhalten hatte, wodurch die Illusion der Wachtturmgesellschaft, dass ernannte Älteste und ihre Handlungen von Jehova Gott "geistgeleitet" seien, gefährdet war. Dieser Fall zeigt, dass Korruption die Folge ist, wenn eine Organisation sich die Werte und Prinzipien, für die zu stehen sie behauptet, so ändert wie sie es gerade braucht; wenn sie ein Mittel zur Machtausübung von Männern und der Machterhalt der entscheidende Faktor über den Prinzipien der Wahrheit und Gerechtigkeit, denen zu dienen diese Männer vorgeben, wird. Wir haben noch immer die Aufnahmen der meisten Treffen und Diskussionen. Vielleicht haben sie keinen anderen Zweck, doch wenn meine Frau und ich sie uns immer wieder anhören, wissen wir, dass wir nicht verrückt sind.

Die Rachsucht von Machthunger getriebener Männer wurde darüber hinaus durch die Aktionen gegen meine Mutter, Augusta Rawe, demonstriert. Zehn Jahre nach diesen Ereignissen wurde sie - im Alter von 85 Jahren - wegen "schlechter Gesellschaft" ausgeschlossen, nur weil meine Frau und ich sie einmal im Monat oder so besuchten. Wir waren die einzigen Familienmitglieder, die sie noch hatte. Siewusste die ganze Wahrheit über unsere Lage. Dennoch hat sie nie in ihrer Loyalität geschwankt, ging über 40 Jahre von Tür zu Tür - bis einen Tag bevor sie auf Anweisung des Kreisaufsehers ausgeschlossen wurde. 1898 als Kind deutscher Eltern in Russland geboren, zwangen die Umstände sie, alleine in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, als sie gerade 13 Jahre alt war. In Grand Coulee war sie seit vielen Jahren als Zeugin Jehovas bekannt, predigte im Haus-zu-Haus-Dienst und es war ein gewohnter Anblick, sie an Straßenkreuzungen zu sehen, wo sie Wachtturmliteratur verteilte. Als sie ausgeschlossen wurde, war es sogar auf Seite eins der Lokalzeitung und eine Welle der Entrüstung gegen die Wachtturmgesellschaft in der Gemeinde war die Folge, die bis heute nicht abgeebbt ist. Ich habe noch immer eine Schachtel mit Briefen aus der ganzen Welt, die sie erhielt. Es ist bemerkenswert, dass sogar sogenannt "weltliche Menschen", von denen Zeugen glauben, dass sie in Harmagedon von Gott vernichtet werden, ein besser ausgebildetes Gerechtigkeitsgefühl besitzen als jene die angeblich in "Gottes Organisation" sind. Meine Mutter bewahrte ihre Integrität vor Gott, ihre Standfestigkeit für Wahrheit, Glaube, Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit bis sie im Alter von 96 Jahren starb. Deshalb habe ich keinen Zweifel, dass sie einen Platz in Gottes Königreich haben wird.

In den Jahren die auf meine Trennung von der Wachtturmgesellschaft folgten, konnte ich meiner Arbeit mehr Zeit widmen, aber auch meinen persönlichen Studien der Bibel, der Geschichte der Wachtturmgesellschaft und der frühen christlichen Geschichte. Selbstverständlich kamen viele Dinge über die Organisation ans Licht, die ich zuvor als gläubiger Zeuge Jehovas ignoriert hatte. Ich sehe mich nicht als Mitglied einer anderen Religion irgendwann in der Zukunft, obwohl ich jede Woche verschiedene Bibelstudien unterschiedlicher Kirchen besuche und sogar vereinzelt welche leite. Außerdem fördere ich mit anderen Bibelstudienkonferenzen, die wir Northwest Conferences nennen.

Über die Northwest Conferences. Bis zum Zeitpunkt an dem ich dies schreibe (1999, Anm. d. Übers.) haben wir bereits über 60 dieser Zusammenkünfte abgehalten. Im Mittelpunkt dieser Konferenzen steht die Vielfalt der Lehren. Sprecher haben 30 Minuten Zeit, verschiedene Religionen zu präsentieren. Anschließend ist 15 Minuten lang Zeit für Fragen und Antworten des Publikums. Zwischen 50 und 250 Menschen kamen zu diesen Konferenzen. Einmal kamen 650, doch durchschnittlich kommen ungefähr 50 Leute, was gerade richtig ist. Einige haben den Eindruck, dass die Treffen an verbitterte Diskussionen über Doktrine und Lehren grenzen, doch wir glauben, dass das Gegenteil die Wahrheit ist. Manchmal mögen sich die Diskussionen aufheizen, doch das Ziel ist, sich christlich zu verhalten, wenn unterschiedliche Standpunkte präsentiert werden, und so dienen die Konferenzen als Lektion in Toleranz, Geduld und gegenseitigem Respekt zwischen Leuten unterschiedlicher Standpunkte.

Alle Vorträge mit den Fragen und Antworten wurden aufgezeichnet und sind verfügbar. Informationen über die Konferenzen oder Bandaufnahmen erhalten sie bei:

Richard Rawe, Box 443, Soap, WA 98851, USA, Telefon: +1 (509) 246-1559

Richard Rawe vertreibt verschiedene Publikationen, Bücher, Broschüren, Videos, Audiokassetten und andere für ehemalige Zeugen Jehovas interessante Literatur einschließlich der Broschüre "Preparing for Child Custoday Cases" (Vorbereitung auf Sorgerechtsprozesse, Anm.) und andere Informationen über das Sorgerechtsthema und die Zeugen Jehovas. Zusätzlich unterhält er eine erschöpfende Sammlung an Zeitungsartikeln über Zeugen Jehovas aus der ganzen Welt. Eine komplette Liste an Literatur und Preisen erhalten Sie direkt bei Richard Rawe.

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