Nachdem Herr Galeski im Rahmen seines Erfahrungsberichtes eine Menge grundsätzlicher Dinge besprochen hat, möchte ich Sie nun noch auf zwei weitere Aspekte aufmerksam machen, die den Ausstieg so schwierig gestalten.

  1. Aufhören heißt nicht aussteigen
  2. Aussteigen ohne aufzuhören

Im ersten Teil werde ich auf meine eigene Erfahrung zurückgreifen. Punkt zwei stützt sich auf Berichte von Menschen, die in verschiedenen Internetforen für ehemalige Zeugen Jehovas schreiben, allem voran die Seite jwn - ein englischsprachiges Forum mit über 10.000 Usern.

Vom Lösungsprozess aus totalitären Bewegungen – Wege, Schwierigkeiten und deren Folgen

Doch zunächst einige Informationen zu meiner Person:

Ich wurde 1967 als dritter von vier Söhnen geboren. Meine Eltern und Großeltern waren bzw. sind noch sehr eifrige und engagierte Zeugen Jehovas – ebenso meine drei Brüder mitsamt ihren Familien und den Familien ihrer Frauen.

Mit siebzehn Jahren ließ ich mich taufen, arbeitete neun Jahre in der Deutschlandzentrale der Zeugen in Selters, sowie ein Jahr in der luxemburger Zweigstelle. Drei Jahre lebte ich als Vollzeitprediger in Ecuador, wo ich eine Gemeinde aufbaute und ihr bis zu meiner Rückkehr nach Europa vorstand. Insgesamt war ich zehn Jahre ein Ältester.

Aufgehört, ein Zeuge Jehovas zu sein habe, im Jahr 2008.

Ausgestiegen bin ich aber erst Ende 2011.

Das bringt mich zu dem ersten zu Beginn erwähnten Aspekt:

1. Aufhören heißt nicht aussteigen

Das meiste, was Herr Galeski aus seiner Kindheit als Zeuge Jehovas berichtete, trifft auch auf mich zu. Zwei Besonderheiten, was meine Kindheit angeht, möchte ich aber erwähnen:

Wie Sie wissen, sind die Zeugen davon überzeugt, dass jederzeit das göttliche Gericht über die Menschen hereinbrechen kann. Seit nun über hundert Jahren steht es "unmittelbar bevor".

Meine Eltern lebten ständig in dieser Erwartung. Sie rechneten nicht damit, dass ich oder meine Brüder jemals in die Schule kommen würden. Als wir dann in der Schule waren, glaubten sie nicht daran, dass wir diese noch beenden würden. Alle Überlegungen und Planungen unserer Familie waren auf das baldige Ende dieser Welt (und den nur für Zeugen bestimmten Übergang ins Paradies) ausgerichtet.

Mein Vater liebte es, Bibeltexte wie den aus dem 1.Thessalonicherbrief 5:2 vorzulesen: Da steht nach der Neuen-Welt-Übersetzung (das ist die Bibel der Zeugen Jehovas): „Denn ihr selbst wisst sehr wohl, dass Jehovas Tag genauso kommt wie ein Dieb in der Nacht.“ Oder auch den nachfolgenden Vers: „Wann immer sie sagen: „Frieden und Sicherheit!“, dann wird plötzliche Vernichtung sie überfallen.“

Unzählige Male veranschaulichte er dieses „Plötzlich“ mit dem Einmarsch der Russen 1968 in Prag. Ich hatte damals zwar noch keine Kenntnis der politischen Verhältnisse, auf die er sich bezog, aber als Kind von Kriegskindern waren mir die Begriffe Panzer und Russen durchaus bekannt, und sie reichten aus, um mir einen gewaltigen Schrecken einzujagen.

Schon als sehr junger Mensch war mir klar, das Ende wird ganz plötzlich kommen. Und würden die Ereignisse erst einmal ihren Lauf nehmen, gäbe es auch keine Chance mehr zur Reue und Umkehr. Wer an jenem Tag X kein treuer und braver Zeuge war, der würde auf alle Ewigkeit vernichtet werden.

Es war nicht so, dass mein Vater uns Kindern Angst machen wollte. Er freute sich (und freut sich wohl noch immer) auf diesen Tag, an dem Gott endlich Gericht halten würde. Er war fest davon überzeugt, zusammen mit seiner Familie zu überleben und dann für immer in einem Paradies leben zu dürfen.

Ob ich selbst auch gerettet werden würde, darin war ich mir schon als Kind nie wirklich sicher. Zum einen hatte ich ständig Angst davor, unbewusst etwas Falsches zu machen. Und da ich gelernt hatte, dass es eine Sünde gibt, die nicht vergeben werden konnte – die sogenannte Sünde gegen den heiligen Geist – lebte ich in der ständigen Angst, aus Versehen gerade diese Sünde begangen zu haben (worin diese Sünde genau bestand, wurde nie richtig erklärt).

Und dann gab es noch Bibeltexte wie 1.Johannesbrief 2:15: „Liebt nicht die Welt, noch die Dinge in der Welt.“ oder Jakobusbrief 4:4 :“Wer immer ein Freund der Welt sein möchte, stellt sich als Feind Gottes dar.“

Vieles in dieser sogenannten „Welt“, von den Zeugen als Bezeichnung für alle und alles gebraucht, was nicht mit den Zeugen verbunden war, übte schon als Kind einen enormen Reiz auf mich aus. Ich entdeckte früh meine Liebe zur Literatur, und merkte spätestens als Jugendlicher, wie das genuin Menschliche und Sinnliche eine unglaubliche Faszination auf mich ausübte. Natürlich wusste ich, dass „Jehova“ diese Dinge nicht mochte, aber ich konnte sie nicht wirklich hassen. Im Gegenteil, ich liebte sie.

So entstand schon sehr früh in mir ein Zwiespalt zwischen dem, was ich tun musste – wollte ich das Jüngste Gericht überleben – und dem, was ich eigentlich tun wollte. Die einzige Möglichkeit, gegen diesen inneren Kampf zu gewinnen, sah ich für mich darin, mich völlig der Religion zu verschreiben, was ich dann auch ab meinem siebzehnten Lebensjahr für über zwei Jahrzehnte tat. Der innere Kampf hörte deswegen aber nicht auf. Es war so, als lehnte sich ein Teil meines Verstandes und auch meines Körpers gegen dieses Glaubensgefängnis auf, während ein anderer versuchte mich auf der Spur zu halten, aus Angst davor, von Gott vernichtet zu werden.

Irgendwann waren meine Kräfte aufgebraucht. Ich trat als Ältester zurück und hörte auf, die Zusammenkünfte der Zeugen zu besuchen. Als ich mich schließlich von meiner Frau trennte und einige Monate später zu meiner jetzigen Lebensgefährtin zog, war klar: Ich bin keine Zeuge Jehovas mehr. Ich hatte angefangen zu rauchen, ging wählen, feierte Weihnachten und Geburtstag, lebte in „wilder Ehe“. Der Teil in mir, der die „Welt“ liebte, hatte am Ende gewonnen.

Aber war ich dadurch auch ausgestiegen? Auf keinen Fall! Denn obwohl ich nicht mehr wie ein Zeuge lebte, hörte ich doch nicht auf, wie einer zu denken und zu fühlen. Nach wie vor dachte ich, die Zeugen hätten die wahre Religion, fühlte mich von Gott verworfen und mir war klar, dass, wenn morgen das jüngste Gericht beginnen würde, es dann um mich geschehen wäre. Ich fühlte mich wie ein zum Tode Verurteilter oder jemand, dem man eine tödliche Krankheit diagnostiziert hatte, mit einer unbestimmten, aber jedenfalls sehr kurzen Restlebensdauer.

Oftmals gelang es mir nur mit Hilfe von Alkohol, diese Gefühle des Verurteiltseins zu dämpfen. Zwar fühlte ich mich in meiner Lebenssituation sehr wohl und hatte nicht das Bedürfnis, zu den Zeugen zurückzukehren, aber eine Zukunftsperspektive für mich sah ich nicht. Es würde irgendwann vorbei sein. Wahrscheinlich schon sehr bald.

Es entwickelten sich Obsessionen. Die schlimmste bestand darin, dass ich manchmal schon morgens um vier Uhr aufstand, um im Internet die Nachrichten zu lesen und zu schauen, ob plötzlich die Ereignisse eingetreten wären, die die Zeugen als erste Zeichen des Strafgerichtes ansehen.

Zudem versäumte es mein Vater bei unseren mittlerweile sehr selten gewordenen Treffen niemals, mich darauf hinzuweisen, dass es nun wirklich nicht mehr lange dauern würde, und ich mich beeilen solle, mein Verhältnis zu Gott wieder geradezubiegen, bevor es zu spät sei.

Diese fortdauernde Mischung aus Angst, Panik aber auch der Gewissheit, nicht mehr zurück zu den Zeugen zu wollen, führte schließlich zum körperlichen Zusammenbruch. Mit Verdacht auf Herzinfarkt wurde ich im Oktober 2011 ins Krankenhaus gebracht, nur um mir dort sagen zu lassen, ich wäre „pumperlgesund“. Auch nachfolgende Untersuchungen einiger Spezialisten ergaben nichts. Als darauf zwei Ärzte unabhängig voneinander die Vermutung äußerten, ob eventuell psychische Ursachen vorliegen könnten, ging mir langsam ein Licht auf.

Wieder zu Hause, setzte ich mich an den Computer und gab bei Google „Jehovahs Witnesses“ ein. (ich ging davon aus, auf englischsprachigen Web-Seiten mehr Infos zu finden).

Das war der Beginn meines Ausstieges, der sich nun seit dem Oktober des Jahres 2011 hinzieht und in mehreren Etappen verlaufen ist und noch verläuft.

Die reine Erkenntnis, dass es sich bei den Zeugen Jehovas um eine totalitäre Sekte handelt, stellte sich schon nach wenigen Tagen intensiver Recherche ein.

In den darauf folgenden Wochen, die ich nur mit Lesen und Nachforschen im Netz und in Bibliotheken verbrachte, wuchs meine Gewissheit, dass alle Glaubensvorstellungen und religiösen Ideologien jeglicher Grundlage entbehren. Eine Gewissheit, die sich bis heute gehalten und noch weiter verstärkt hat.

Darauf folgte eine Phase der Aufarbeitung der eigenen Kindheit und der Beziehung zu den eigenen Eltern. Als ich dann merkte, dass sich meine Endzeitängste auf die Vorstellung verlagerten, mein Körper könnte von heute auf morgen den Dienst versagen, beschloss ich professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. In dieser Phase meines Ausstieges befinde ich mich noch immer.

Nun zum zweiten Punkt:

2. Aussteigen ohne aufzuhören

Das hört sich zunächst paradox an, aber es ist eine Erfahrung, die Tausende von Menschen gemacht haben und noch machen. Es sind vor allem solche, die in der Sekte groß geworden sind und Verwandte und Freunde haben, die nach wie vor überzeugte Zeugen Jehovas sind. Es sind Menschen, denen vollständig bewusst ist, dass das Glaubensgebäude der Zeugen Jehovas auf einer ständigen Uminterpretation und dem beliebigen Zurechtbiegen von Bibelpassagen besteht. Menschen, denen völlig klar ist, dass einige der Lehren der Zeugen Jehovas Menschenleben gefährden und auch schon unzählige gekostet haben, denkt man z. B. an ihre Haltung zu Bluttransfusionen. Sie wissen, dass die Zeugen blind einem Gremium von derzeit acht Männern gehorchen, die für sich beanspruchen, das Sprachrohr Gottes zu sein. Sie wissen auch, dass die Anweisungen dieses Führungsgremiums – leitende Körperschaft genannt – unter anderem dazu beitragen, dass Pädophile gedeckt werden und Kinder in vielen Gemeinden in der ständigen Gefahr stehen, eines ihrer Opfer zu werden.

Aber trotz dieses Wissens verbleiben diese Personen in den Reihen der Zeugen Jehovas, ja manche sind sogar Älteste oder Dienstamtgehilfen, d.h. Diakone in ihren Gemeinden.

Was bringt diese Menschen dazu, gegen besseres Wissen und manchmal sogar gegen ihr Gewissen zu handeln, ja regelrecht Theater zu spielen, nur damit niemand merkt, wie sie wirklich denken?

Dazu muss man verstehen, welche Einstellung die Zeugen gegenüber denjenigen haben, die die Lehren der Zeugen anzweifeln oder ihre Führung kritisieren.

Diese Zweifler und Kritiker werden pauschal als Abtrünnige oder Abgefallene bezeichnet und in den Schriften der Wachtturmgesellschaft durchweg negativ dargestellt.

So hieß es z.B. im Wachtturm vom 15.07.2011:

4 ... Abtrünnige.

(Fußnote: Mit „Abtrünnigkeit“ ist gemeint, dass man sich von der wahren Anbetung distanziert, davon abfallt, sie vollstandig aufgibt und dagegen rebelliert)

Was wollen sie bewirken?... Sie sind wie „raubgierige Wölfe“ — darauf aus, die zutraulichen „Schafe“ in der Versammlung zu verschlingen, ihren Glauben zu zerstören und sie von der Wahrheit wegzulocken.

...

5 Wie gehen falsche Lehrer vor? Auf sehr hinterlistige Weise. Abtrünnige schleusen „unauffällig“ schädliches Gedankengut ein, „schmuggeln“ ihre verkehrten Ansichten also heimlich, still und leise in die Versammlung. Und wie Betrüger, die mit geschickt gefälschten Dokumenten arbeiten, so versuchen Abtrünnige, anderen „verfälschte Worte“, also irreführende Argumente, unterzuschieben, um ihnen ihre verkehrten Ansichten als „echt“ zu verkaufen. Sie verbreiten „trügerische Lehren“ und „verdrehen“ die Schriften zu ihren Gunsten. Abtrünnige haben nicht das geringste Interesse daran, dass es uns gut geht. Ihnen zu folgen würde uns nur vom Weg zum ewigen Leben abbringen.

6 ... Über Abtrünnige sagt die Bibel, dass sie „geistig krank“ sind und andere mit ihrem treulosen Gedankengut infizieren wollen ...

Im englischen: „mentally diseased“ = geisteskrank

Diese Diffamierung Andersdenkender kann man in unzähligen Veröffentlichungen der Wachtturmgesellschaft finden.

In ihrem Denken ist ein Abtrünniger eigentlich des Todes würdig. Das zeigt folgendes Zitat aus dem Wachtturm vom 15.01.1963:

Das Gesetz des Landes und das durch Christus kommende Gesetz Gottes verbieten es uns, Abtrünnige zu töten, selbst wenn es eigene Familienangehörige nach dem Fleische wären.

Die Wachtturmgesellschaft geht soweit, offen zum Hass aufzurufen:

Zu Abtrünnigen sollten wir so eingestellt sein wie David, der erklärte: „Hasse ich nicht die, die dich, o Jehova, aufs tiefste hassen, und empfinde ich nicht Ekel vor denen, die sich gegen dich auflehnen? Mit vollendetem Haß hasse ich sie gewiß. Sie sind mir zu wirklichen Feinden geworden“ (Psalm 139:21, 22). Abtrünnige machen heute gemeinsame Sache mit dem „Menschen der Gesetzlosigkeit“, der Geistlichkeit der Christenheit (2. Thessalonicher 2:3). Als loyale Zeugen Jehovas haben wir daher absolut nichts mit ihnen gemein.Der Wachtturm, 17.07.92

Noch einmal: In den Augen der Wachtturmgesellschaft wird man zu einem Abtrünnigen, also einer hassenswerten Person, schon allein dann, wenn man nur an einem einzigen Detail ihrer Lehren Zweifel äußert.

Wie also sollte sich der gehorsame Zeuge Jehovas gegenüber einem abtrünnigen Freund oder Verwandten verhalten?

Der Wachtturm vom 15.04.2012 ist da eindeutig:

Was aber, wenn wir mit jemand, der ausgeschlossen (exkommunizert) werden musste, verwandt oder eng befreundet sind? Dann steht jetzt unsere Treue auf dem Prüfstand, und zwar nicht gegenüber dieser Person, sondern gegenüber unserem Gott. Jehova schaut nun darauf, ob wir uns an sein Gebot halten, keinen Kontakt mehr mit jemandem zu haben, der ausgeschlossen ist.

Jeder Zeuge Jehovas, der an seiner Religion zu zweifeln beginnt, ist sich darüber im klaren, was es bedeuten kann, wenn er diese Zweifel äußert oder offen Kritik übt: Ausschluss aus der Gemeinschaft und soziale Isolation. Die Zahl derer, die auf diese Weise Eltern und Großeltern, Geschwister, Enkel, Neffen und Nichten sowie gute Freunde verloren haben geht in die Zehntausende.

„19 ... Suchen wir nicht nach Ausreden, um mit ausgeschlossenen Familienmitgliedern in Kontakt zu treten, beispielsweise über E-Mail.“ (Der Wachtturm, 15.01.2013 S.16)

Meine Vermutung ist, dass es eine ähnlich hohe Zahl von Menschen gibt, die zum Schein noch Zeugen Jehovas sind, um solch dramatische Konsequenzen zu vermeiden. Besonders tragisch gestalten sich die Fälle dort, wo ein Ehepartner die Sekte verlassen möchte, der andere aber weiter ein glühender Anhänger ist. Gesteigert wird es noch, wenn Kinder vorhanden sind. Der eine fühlt sich einem Gott gegenüber verpflichtet, seine Kinder im Sinne der Religion zu erziehen, der andere möchte verhindern, dass diese jungen Menschen in die Fänge einer Sekte geraten.

Die Angst vor beschriebener familiärer Zersplitterung bringt viele Aussteiger dazu, den Schein zu wahren. Immer in der Hoffnung, auch die anderen Familienmitglieder mögen zur gleichen Erkenntnis kommen, wie er selbst. Sie sehen sich gezwungen etwas zu tun, dass sie nicht tun möchten, das ihren eigenen Überzeugungen widerspricht. Sie setzen sich einem System aus, das sie als fantastisch oder leicht überzogen, meist aber als menschenverachtend und betrügerisch empfinden, und trotzdem unterstützen sie es und sei es lediglich dadurch, dass sie darin verbleiben.

Andere dagegen weigern sich, diesem Druck nachzugeben und tragen die Konsequenzen: Zerbrochene Familien, Trauer, Depression, Schuldgefühle, Einsamkeit, Schmerz.

Nahezu jeder ehemalige Zeuge Jehovas kann Ihnen davon berichten.

In meinem Fall brachen meine Eltern den Kontakt zu mir zunächst nicht ab. Sie verurteilten zwar, was ich tat, aber in jedem Gespräch äußerten sie ihre Hoffnung, ich möge doch bald zurückkehren. Auch meine Geschwister äußerten sich dahingehend. Ich war ein Sünder, der vielleicht noch zu retten wäre. Aber als ich ihnen sagte, dass ich nicht mehr an das glaube, was die Zeugen lehren, brachen sie jeden Kontakt umgehend ab. Das war im November 2011 und seitdem hatte ich, bis auf eine Ausnahme, keinerlei Kontakt mehr.

Glücklicherweise hatte ich mir schon in den Jahren zuvor ein „normales“ soziales Umfeld aufgebaut, mit Menschen, die ihre Zuneigung nicht von meinen religiösen Auffassungen abhängig machen. Dennoch vergeht so gut wie kein Tag, an dem ich nicht in irgendeiner Form an meine Familie denke. Mittlerweile ohne Schmerz oder Selbstvorwürfe, sondern eher mit einer tiefsitzenden Trauer. Aber auch einem Fünkchen Hoffnung, dass vielleicht einer von ihnen, möglicherweise meine Nichten, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben, zu der gleichen Erkenntnis kommen, wie ich. Ich wünsche es ihnen von Herzen. Denn auch wenn der Ausstieg aus einer Sekte eine schmerzliche und extrem aufreibende Erfahrung ist, es lohnt sich diesen harten Weg zu gehen. Denn am Ende warten Freiheit und Selbstbestimmung.