Irrationale Überzeugung Nr. 5: Die Vorstellung, dass menschliches Leiden äußere Ursachen habe und dass der Mensch wenig Einfluss auf seinen Kummer und seine psychischen Probleme nehmen könne.

Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft scheinen zu glauben, dass sie durch andere Menschen und äußere Ereignisse unglücklich werden und dass sie nicht leiden würden, wenn diese anders wären. Sie meinen, sich aufregen zu müssen, wenn bestimmte unerfreuliche Umstände eintreten, und dass sie in diesen Fällen keine Kontrolle über sich selbst oder ihre Emotionen haben. Diese Überzeugung ist aus mehreren Gründen falsch:

1. Andere Menschen und äußere Ereignisse können einem, abgesehen von körperlicher Gewaltanwendung und der (direkten oder indirekten) Vorenthaltung bestimmter konkreter Vorteile wie Geld oder Nahrung, de facto wenig schaden. In unserer heutigen Gesellschaft wird man jedoch selten von anderen Menschen körperlich oder ökonomisch geschädigt; fast alle »Angriffe« sind psychischer Art und können einem kaum Schaden zufügen, solange man sie nicht irrtümlicherweise für schädlich hält. Es ist unmöglich, durch Worte oder Gesten Schaden zu erleiden, wenn man sich nicht davon verletzen lässt oder gar sich selbst verletzt. Es sind niemals die Worte oder Gesten anderer, die uns schaden, sondern unsere eigenen Einstellungen zu diesen und unsere Reaktionen auf diese symbolischen Angriffe. Wie Eleanor Roosevelt so schön sagte: »Niemand kann uns ohne unsere Erlaubnis beleidigen.«

2. Jedes Mal, wenn wir sagen: »Es schmerzt mich, wenn meine Freunde mich brüskieren« oder: »Ich kann es nicht ertragen, wenn etwas schiefgeht«, machen wir es »entsetzlich«. Das Wort »es« ist in diesen Sätzen größtenteils definierend. Was wir wirklich meinen, ist: »Ich störe mich selbst, indem ich mir sage, es sei entsetzlich, wenn meine Freunde mich brüskieren« oder: »Ich sage mir selbst, dass es ganz fürchterlich ist, wenn etwas schief geht, dass ich eine derartige Situation nicht ertragen kann.« Obwohl sich das es in »es schmerzt mich« oder »ich kann es nicht ertragen« auf irgendein äußeres Ereignis zu beziehen scheint, das unkontrollierbar auf uns einwirkt, bezieht sich das Wörtchen »es« gewöhnlich auf eine ärgerliche Handlung oder Begebenheit, die »entsetzlich« wird, weil wir sie dazu machen, und die uns von sich aus zwar stört, jedoch kaum zerstört.

3. Obwohl Millionen Menschen unerschütterlich glauben, dass sie ihre Überzeugungen und Emotionen nicht kontrollieren können und dass ihnen daher Schreckliches aufgezwungen wird, gleich was sie unternehmen, ist diese Vorstellung übertrieben. In Wahrheit ist es für die meisten Menschen größtenteils deshalb schwierig, ihre Emotionen zu verändern oder zu kontrollieren, weil ihnen das nicht beigebracht wird und weil sie es selten versuchen. Oder, wenn sie sich gelegentlich zu verändern suchen, tun sie dies auf schlampige, hastige und ungenaue Art und Weise. Wenn diese Menschen aufhören würden, ihre Emotionen als rein »spontane» Prozesse zu betrachten und sie realistischerweise als größtenteils aus Wahrnehmungen, Gedanken, Bewertungen und verinnerlichten Philosophien zusammengesetzt ansähen, wären sie fähig, konsequenter an ihrer Veränderung zu arbeiten.

4. Extrem schädigende und unerwartete Ereignisse, die Kindern und Erwachsenen zustoßen - wie beispielsweise Inzest, körperliche Misshandlung und Aggressionen -, werden einen Menschen fast immer schockieren und Gefühle der Panik, des Entsetzens und der Depression mobilisieren. Jedoch nicht in jedem Fall. Denn manche Opfer erholen sich langsam von ihrem Schock und sind nur zeitweilig traumatisiert. Andere sind über einen langen Zeitraum hinweg ernsthaft traumatisiert und leiden unter einer posttraumatischen Panikstörung. Selbst in einer derart abscheulichen Situation interagieren also die Oberzeugungen der Menschen bezüglich der schädigenden Ereignisse und ihre emotionale Reaktivität dazu mit dem Trauma und bringen viele verschiedene Schweregrade an Störungen hervor.

5. Wenn wir uns eine Zeit lang selbst gesagt haben, dass wir über gewisse Ärgernisse oder Gefahren wirklich wütend sein sollten, werden wir die Gewohnheit entwickeln, uns über diese Dinge so zu ärgern, dass es uns schwer fallen wird, angemessen oder selbsthelfend darauf zu reagieren. Doch wenn wir uns überzeugen, dass wir uns über derartige Ärgernisse oder Gefahren eben nicht aufzuregen brauchen, werden wir es weit einfacher finden, bei ihrem Auftreten angemessen zu reagieren . Mit wenigen Ausnahmen gibt es, um Shakespeare frei wiederzugeben, im Leben nichts absolut Schlimmes - das Denken macht es dazu.

Statt irrtümlicherweise zu meinen, keinerlei Herrschaft über die eigenen Emotionen zu haben, ist sich der informierte und intelligente Mensch bewusst, dass das unglückliche Bewusstsein weitgehend (wenn auch nicht ausschließlich) von innen kommt und von der unglücklichen Person selbst geschaffen wird. Dieser informierte Mensch wird gegenüber seinen eigenen negativen und selbstzerstörerischen Emotionen folgende Haltung einnehmen:

(1) Sooft er bemerkt, dass er über irgendetwas in zu heftige Erregung gerät (das heißt, nicht bloß gemäßigtes Bedauern über einen Verlust oder Ärger über eine Enttäuschung empfindet), wird er sich rasch klarmachen, dass er die eigenen negativen Emotionen hervorruft, indem er auf eine bestimmte Situation oder Person unüberlegt reagiert. Er wird sich weder durch die »Tatsachen« täuschen lassen, dass seine akuten Ängste oder Aggressionen eine »natürliche« Ursache zu haben scheinen, noch sie als sein »existentielles Los« hinnehmen oder sie auf äußere Umstände zurückführen; stattdessen wird er der Tatsache offen ins Auge sehen, dass er ihre Hauptquelle ist und sie, da er sie hervorgerufen hat, auch wieder beseitigen kann.

(2) Nachdem er seine eigenen unglücklichen Empfindungen objektiv registriert hat, wird er über sie nachdenken und ihre Spur zu seinen eigenen unlogischen Sätzen zurückverfolgen, mit welchen er sie hervor ruft. Er wird diese affekterweckenden Sätze dann logisch analysieren und nachdrücklich in Frage stellen, bis er sich von ihrer inneren Widersprüchlichkeit überzeugt und sie selbst als unhaltbar erkannt hat. Durch die radikale Analyse und Veränderung seiner Selbstverbalisierungen gelingt es ihm, die selbstzerstörerischen Emotionen und Handlungen zu vermeiden, die sie sonst nach sich gezogen hätten.

So wird ein Mensch, der den Kontakt mit Körperbehinderten fürchtet, davon ausgehen, dass ihm in Wirklichkeit nicht die Behinderten Angst einjagen, sondern seine eigenen internalisierten Sätze über die »Schrecklichkeit« von »Krüppeln«. Er wird sich diese Sätze in aller Ruhe bewusstmachen (z.B. »Krüppel sind in einer unglücklichen Lage, weil sie auf fremde Hilfe angewiesen sind; es wäre schrecklich, wenn ich in die gleiche Lage käme«) . Dann wird er diese Sätze logisch analysieren (er wird sich z. B. fragen: »Steht der zweite Satzteil, dass es schrecklich wäre, wenn ich in die gleiche Lage käme, in logischem Zusammenhang mit dem ersten, dass Krüppel in einer unglücklichen Lage sind?«). Dann wird er seine Verbalisierungen ernsthaft in Frage stellen (z.B. indem er sich immer wieder vor Augen hält: »Obwohl es sicher bedauerlich wäre, wenn ich ein Krüppel und auf Hilfe angewiesen wäre, so wäre es doch nicht schrecklich oder katastrophal; und ganz bestimmt würde es nicht beweisen, dass ich wertlos bin.«)

Schließlich wird er über die weit verbreiteten falschen Ansichten nachdenken, die seiner Angst vor dem Kontakt mit Behinderten zugrunde liegen, und sich vor Augen halten, dass auch er so ein »armer Teufel« werden kann, der sich in einer »entsetzlichen« Lage befindet. Allmählich wird er sich davon überzeugen, a) dass der Kontakt mit Behinderten (oder anderen Benachteiligten) ihn nicht auf magische Weise in einen Krüppel verwandeln kann; und b) dass praktisch keiner der Zustände, die zwar nicht wünschenswert sind (wie behindert zu sein), wirklich als schrecklich oder katastrophal gelten muß; und c) daß er mit physischen Handikaps und anderen Schwierigkeiten fast immer fertig werden wird, solange er am Leben ist und auch in ungünstigen Lagen noch denken, planen und handeln kann.