Irrationale Oberzeugung Nr. 11: Die Vorstellung, dass es für jedes menschliche Problem eine absolut richtige, perfekte Lösung gibt, und dass es eine Katastrophe sei, wenn diese perfekte Lösung nicht gefunden wird.

Dieses Insistieren auf Sicherheit, absoluter Beherrschung der Lage und vollkommener Wahrheit ist in verschiedener Hinsicht irrational:

1. Soviel wir wissen, gibt es weder Sicherheit, Vollkommenheit noch absolute Wahrheit in der Welt. Wie Hans Reichenbach, John Dewey, Bertrand Russell, Karl Popper und viele andere neuere Denker überzeugend dargelegt haben, leben wir, ob wir es wollen oder nicht, in einer Welt der Wahrscheinlichkeit und des Zufalls und können außerhalb unser selbst keiner Sache sicher sein. Da die Dinge nun einmal so liegen und da das Sicherheitsstreben nur falsche Erwartungen und, als Folge der enttäuschten Hoffnungen, schließlich Angst auslöst, ist es das einzig Vernünftige, die (negative oder positive) Realität zu akzeptieren und sich niemals unsinnigerweise einzureden, man müsse sie vollständig kennen, restlos beherrschen und optimale Lösungen für alle Probleme haben.

2. Die Katastrophen, welche viele Leute über sich hereinbrechen sehen, falls es ihnen nicht gelingt, ihre Probleme für immer der einzig »richtigen« Lösung zuzuführen, oder falls sie keine totale Kontrolle über die äußeren Umstände haben, existieren in Wirklichkeit nur in der Phantasie der Betroffenen. Wer felsenfest überzeugt ist, dass es eine Katastrophe gibt, wenn er seine Probleme nicht auf der Stelle lösen kann, der wird durch seine Ungeduld irgendeine Katastrophe herbeiführen (etwa in akute Panik geraten oder sich als hoffnungslos ineffizient erweisen), wenn diese perfekte Lösung nicht sofort gefunden wird.

3. Perfektionismus engt gewöhnlich die Lösungsmöglichkeiten eines Problems ein und bewirkt, dass das Problem schließlich viel weniger »perfekt« gelöst wird, als dies der Fall wäre, wenn man nicht auf Vollkommenheit bestünde. So gibt es beispielsweise viele Möglichkeiten, Klavier spielen zu lernen; falls Sie aber darauf bestehen, bei einem bestimmten Lehrer lernen zu müssen, dann werden Sie es vielleicht nie oder nur schlecht lernen. Statt vollkommene und sofortige Lösungen für alle Lebensprobleme zu fordern und stets absoluter Herr der Lage sein zu wollen, tut ein rationaler Mensch besser daran, mit folgender Einstellung an seine Probleme heranzugehen:

(I) Angesichts eines schwerwiegenden Problems sollte man sich mehrere Lösungsmöglichkeiten überlegen und von diesen Alternativen schließlich die praktikabelste und realistischste, nicht die »vollkommenste« wählen. Das bedeutet nicht, dass man perfektionistisch jeden möglichen Aspekt jeder möglichen Alternative abwägen sollte - da man auf dieser Basis zu überhaupt keiner Entscheidung gelangen würde -, sondern dass man die Notwendigkeit von Kompromissen bereitwillig akzeptieren und seine Entschlüsse in einem vertretbaren Zeitraum fassen sollte, sobald man die vorhandenen Alternativen entsprechend geprüft hat.

(2) Man sollte die Tatsache akzeptieren, dass extreme Lösungen und Pläne häufig (wenn auch nicht immer) ungünstig oder undurchführbar sind, und sollte deshalb gemäßigten Ansichten Gehör schenken und versuchen, einen Mittelweg zwischen den sich anbietenden Möglichkeiten zu wählen.

(3) Man sollte die Tatsache uneingeschränkt akzeptieren, dass Irren menschlich ist und dass man aller Wahrscheinlichkeit nach speziell anfangs falsche oder mittelmäßige Entscheidungen treffen wird und dass dieser Umstand nicht den wirklichen Wert eines Menschen schmälert. Im Bewusstsein, dass wir alle durch Versuch und Irrtum lernen, sollten wir stets bereit sein, zu experimentieren, verschiedene Pläne auf ihre Durchführbarkeit zu erproben, nach möglichen neuen Lösungen zu suchen und diese pragmatisch zu testen.