Lutz Lemhöfer: Ich kenne durchaus ähnliche Geschichten, dass Strukturvertriebe einen Menschen mit Beschlag belegen wie man das sonst von einer Sekte kennt. Also, dass das Privatleben hintenan stehen muss, dass der sonstige berufliche Alltag hintenan stehen soll und dass erstens und zweitens und drittens nur, in dem Fall, der Verkauf gilt, und dass das manchmal durchaus auch betrügerischen Unternehmungen sind: Denn Geld verdienen da immer nur die oben und nicht die unten.

Susanne Scharra: Kann man das so sehen, dass diese Strukturvertriebe sektenähnliche Strukturen auch haben mit denen sie die Leute an sich binden? Was machen die mit denen? Oder, wieso funktioniert das so gut?

Lutz Lemhöfer: Die versprechen nicht das Himmlische Heil, das suchen ja auch heute gar nicht so viele Leute, sondern das irdische Heil: Ganz viel Geld, ganz schnell! Und sie bringen Leute dazu da allein auf diese Karte zu setzen, nur auf diese Karte. Ich habe einen jungebn Mann erlebt der sagte, schon beim ersten Gespräch, als seine Freundin ein paar kritische Einwände machte, wurde ihr über den Mund gefahren von der Werberin, und er, der junge Mann, wurde angesprochen: Mensch, wenn Sie weiterkommen wollen können Sie sich doch nicht mit solchem 'Bremsklotz' belasten! Also, im ersten Gespräch wurde aufgefordert, die Beziehung zu enden damit man ganz und gar diesem Betrieb oder Vertrieb zur Verfügung stehen konnte. Daran sehen Sie, in welchem Ausmass Menschen da in die Fänge genommenwerden sollten.

Susanne Scharra: Würden Sie sagen, solche Organisationen, die eben keine religiösen Sekten sind, sind dogar gefährlicher als religiöse, weil die Leute gar nicht wissen was für eine Organisation das ist und welche Ziele auch dahinter stehen?

Lutz Lemhöfer: Nein. Ich denke, es ist einfach ähnlich und in unserer Zeit etwas, was ständig im Kommen ist, was ständig boomt und da, wo wirklich versucht wird Geld zu machen. Aber es fällt auf, dass in vielen Büchern zum Thema 'Sekten' mittlerweile es immer ein Kapitel 'Strukturvertriebe' gibt.

Susanne Scharra: Ein bisschen erinnert mich das von der Methodik her auch an Scientology, eine Sekte, die ja anders als die 'Zeugen Jehovas' zum Beispiel, ihre Glaubensrichtlinien nicht in Form des 'Wachturms' vor sich her trägt sondern die Mitglieder eher im stillen schult und indoktriniert. Stimmt das?

Lutz Lemhöfer: Ja und nein. Also, was bei Scientology der Kern ist, das ist ein System von Psychokursen. Und es wird behauptet, dass man mit diesen Kursen, und das sind etwa 200 an der Zahl wenn man sie zusammenzählt, ein vollkommener Mensch oder sogar eine Art Übermensch werden kann. Die Gemeinsamkeit besteht darin, wie sehr der Einzelne zeitlich mit Beschlag belegt wird, auch finanziell Opfer bringen soll, um dann, irgendwann, all diesen Erfolg zu haben. Das sind ja banalisierte und säkularisierte Heilsversprechungen. Dinge, die man früher den Religionen zugetraut hatte werden hier auf was ganz anderes gemünzt.

Susanne Scharra: Ein Hörer rief an und fragte zurecht: Wieso kann man juristisch so schwer gegen solche Sekten oder sektiererische Gruppen vorgehen?

Lutz Lemhöfer: Ja, das ist eine rechtliche Grauzone. Es gibt in unserer Gesellschaft viele Möglichkeiten sich zu schädigen. Die wenigsten davon sind verboten. Nur wenn ein konkreter Betrug vorliegt oder wenn eine Körperverletzung vorliegt oder so etwas, dann kann man juristisch dagegen vorgehen. Dagegen, dass man dumm und dämlich gequatscht wird muss man sich schon selber wehren.

Susanne Scharra: Es gibt eine ganze Reihe von Hörerfragen. Ein paar davon will ich jetzt mal in die Runde bringen. Zum Beispiel Fragen nach einem Wunderheiler Bruno Gröning lässt eine Hörerin fragen. Was hat es mit dem Mann auf sich?

Lutz Lemhöfer: Das ist ein verstorbener Geistheiler aus den 50er-Jahren. Aber die Anhänger und Nachfolger dieses Mannes bilden heute noch Freundeskreise und versprechen, dass bei ihnen jede Krankheit geheilt werden kann durch Heilströme, Energieströme, die der Bruno Gröning jetzt noch aus dem Jenseits lenkt und sendet. Ich denke, es ist eine Illusion, aber eine sehr verbreitete Illusion. Und es ist gefährlich, vor allen Dingen für Leute, die auf eine ständige medizinische Betreuung angewiesen sind, die wird dann nämlich manchmal aufgegeben.

Susanne Scharra: Eine andere Hörerin wollte wissen was die 'Gralsbotschaft' ist, angeblich verkündet von sehr freundlichen, sehr netten Menschen. Was ist das?

Lutz Lemhöfer: Freundliche Menschen gibt's da überall. Das sind nicht alles Monster. Die 'Gralsbewegung' ist eine esoterische Bewegung, die also glaubt, bestimmte esoterische Kenntnisse, Geheimwissen, darüber zu haben, was die Welt im Innersten zusammenhält.