Die Entscheidung des Supreme Court von Ohio zum Lügen aus religiösen Gründen

Der Autor diente als Sachverständiger in einem Fall, in dem eine Jury dem Anspruch einer Familie nachkam, das Testament ihres Familienangehörigen Otterbein Duesler zu ändern, der unerwartet und abrupt sein Testament geändert und den größten Teil seines Besitzes in Höhe von 338.000 Dollar der Wachtturm-Gesellschaft vermacht hatte (Redman et.al. gegen WTG Berufung Nr. 91 WDO 71, Verfahrensnummer C-88-835). Duesler war kein Zeuge und hatte zu seinen Lebzeiten eine gewisse Unzufriedenheit über die Wachtturm-Gesellschaft geäußert. Die Familie behauptete, er habe sein Geld der Wachtturm-Gesellschaft hinterlassen, weil sie ihn davon überzeugte, wenn er es nicht täte, könne er beim ewigen Leben das Nachsehen haben (W. Caughey, persönliches Gespräch, 3. Februar 1991).

Das Berufungsgericht von Wood County stieß dieses Urteil um (Berufungsgericht von Wood County, Nr. 91-WD-07, Urteil am 14. August 1992). Das Berufungsgericht entschied, „die Aussage des Sachverständigen würde einen zu dem Schluss kommen lassen, dass: (1) Anwalt Walter Kobil ein Gläubiger sei, (2) die Theologie der Kirche zum Meineid ermuntere, um die Kirche zu schützen, (3) Anwalt Kobil bereit sei zu lügen, um die Kirche zu schützen, und (4) Anwalt Kobil daher nicht glaubwürdig sei.“ Vorschrift R. 610 verbietet diese Art von Angriff auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen. Die Zulassung der Aussage war daher ein „Irrtum“ (Seite 11) und „machte ein neues Verfahren erforderlich“ (Seite A-19). Das Berufungsgericht entschied, wenn eine Kirche ihre Mitglieder lehre, zu lügen oder die Wahrheit zurückzuhalten, um die Interessen der Kirche zu verteidigen, und wenn diese Tatsache vor Gericht vorgetragen werde, dann sei das ein umkehrbarer Irrtum.

Das Urteil des Berufungsgerichtes von Wood County wurde vom Supreme Court von Ohio (Redman gegen Watchtower Bible and Tract Soc. of Penn. 69 Ohio St.3d 98, 630 N.E. 2. 676, Rev. abgel., 69 Ohio St. 3. 1445 (1994) 632 N.E. 2. 913) aufrechterhalten. Der Supreme Court von Ohio entschied, dass „Fragen zu den religiösen Überzeugungen eines Zeugen [darunter auch, wenn seine Religion ihre Mitglieder lehrt, zu lügen] keine zusätzliche zulässige Methode sind, seine Wahrhaftigkeit zu prüfen“ (Redman gegen Watchtower, Seite 101). Das Gericht schien auch das Bestehen der Lehre von der theokratischen Kriegsführung in Frage zu stellen, obwohl selbst Wachtturm-Funktionäre in diesem Fall zugaben, dass es sie gibt, wie unten erklärt wird. Oberflächlich gesehen schützt dieses Urteil also das Lügen, wenn es aus religiösen Gründen geschieht und diese Lehre vor Gericht von der gegnerischen Partei genannt wird.

In dem Fall ging es um einen älteren Mann mit Borderline-Syndrom, Otterbein Duesler, der auch Gemütsstörungen hatte. Gemäß Herrn Caughey, dem Anwalt der Familie, wollten die Zeugen Jehovas Duesler nicht als Mitglied akzeptieren, weil er mit seinem Verhalten gegen Wachtturm-Vorschriften verstieß, und sie kamen zu dem Schluss, er würde nicht das Bild vermitteln, das die Wachtturm-Gesellschaft versucht, in der Öffentlichkeit abzugeben. Hätten sie sich aufrichtig bemüht, ihm als Menschen zu helfen, hätte sich die Familie weniger Sorgen um seinen Nachlass an die Wachtturm-Gesellschaft gemacht. Kurz gesagt, sie waren wütend und fühlten sich von der Wachtturm-Gesellschaft ausgenommen (W. Caughey, persönliches Gespräch, 3. Februar, 1991).

Der Anwalt der Familie kannte die Lehre von der „theokratischen Kriegsführung“ aus seiner eigenen Nachforschung, und der Autor erhielt den Auftrag, ihre Anwendung als Sachverständiger darzulegen. Er erklärte, dass die Wachtturm-Gesellschaft entgegen dem Erfordernis vor Gericht, „die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen“, lehrt, dass es angemessen sei, die Wahrheit vor Personen zurückzuhalten, von der sie glaubt, sie hätten kein Recht darauf, besonders Personen, die zum System der Dinge Satans gehörten, was alle Wachtturm-Gegner, alle Kirchen und die weltlichen Regierungen einschließt, darunter auch das Justizsystem.

Diese Information wurde vor Gericht vorgetragen, um der Jury zu helfen, die Beweggründe des Zeugen-Jehovas-Ältesten und -Anwalts (der aber nicht als Anwalt in diesem Fall fungierte) Walter Kobil und anderer zu verstehen, die Herrn Duesler mutmaßlich beeinflusst hatten, sein Testament zu ändern. Die Sorge der Familie war, dass Duesler unangemessen bedrängt wurde, sein Testament zu ändern. Sorgen über die Änderung eines Testamentes, nachdem ein älterer, einsamer Mensch in die Wachtturm-Gesellschaft hineingezogen wird, sind kein ungewöhnliches Ereignis.

Das Berufungsgericht entschied über „die Frage der Zulässigkeit von Aussagen über die religiösen Überzeugungen und Meinungen eines Zeugen“, in diesem Fall die theokratische Kriegsstrategie. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass „keine Analyse notwendig ist, die Aussage ist aufgrund von Vorschrift R.610 nicht zulässig.” Diese Vorschrift lautet: „Aussagen über den Glauben oder die Meinung eines Zeugen in religiösen Dingen sind nicht zulässig, wenn dadurch gezeigt werden soll, dass aufgrund ihres Wesens seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigt oder erhöht ist.“

Der Supreme Court von Ohio sagte, die Kläger hätten im Prozess dem Sachverständigen eine Aussage „über den Glauben und die Praktiken der Zeugen Jehovas“ entlockt und der Sachverständige der Kläger habe „ausgesagt, dass die Kirche eine Praxis ausübe, die er ‚theokratische Kriegsführung’ nannte. Diese Praxis beinhalte angeblich eine Kirchenvorschrift, die Mitglieder zu ermuntern, Meineid zu leisten, um die Kirche und ihre Anhänger zu schützen“ (Hervorhebung von mir). Das Gericht kam auch zu dem Schluss, vieles im Fall der Kläger drehe sich um die Aussage des Sachverständigen „über die theokratische Kriegsführung und seine Behauptung, Jehovas Zeugen würden lügen, um die Versammlung zu schützen“ (Redman gegen Watchtower, Seite 100, 69 Ohio St. 3., Seiten 98, 100-101, Hervorhebung von mir).

Das Gericht behauptete auch, dem „meisten im Fall der Kläger werde von der Verteidigung widersprochen. Kobil (ein Anwalt aus Toledo, der zur Zeit dieses Falles behauptete, er praktiziere seit 35 Jahren Recht und sei, so die Gerichtsprotokolle, seit 60 Jahren Zeuge) sagte aus, er sei Mitglied der Zeugen Jehovas, aber unter Eid zu lügen sei kein Grundprinzip ihrer Lehre. Kobils Aussage wurde von John Schabow erhärtet, einem Ältesten in einer Ortsversammlung der Zeugen Jehovas.“ Wie unten belegt, bestritt Kobil nicht die Existenz dieser Lehre, sondern nur Besonderheiten der Anwendung.

John Schabow sagte aus, er sei 1944 mit den Zeugen Jehovas in Verbindung gekommen und er sei Ältester in der Ortsversammlung (Aussage Schabow, Gerichtsprotokoll Seite 750). Als er von Kolb, dem Anwalt der Wachtturm-Gesellschaft in diesem Fall (nicht zu verwechseln mit dem Anwalt Kobil, einem Zeugen in dem Fall) gefragt wurde, ob er „je vor diesem Fall von der Lehre der theokratischen Kriegsführung gehört“ habe, ging er der Frage aus dem Weg und antwortete: „Ich weiß nicht, worauf sich das bezieht. Es ist nichts, das wir in der Versammlung lehren oder studieren.“ In der folgenden Frage ließ Schabow erkennen, dass er doch wusste, worauf sich diese Lehre bezog. Kolb fragte ausdrücklich: „Erscheint sie [die Lehre von der theokratischen Kriegsführung] regelmäßig in ihren Schriften?“ Schabow bestritt dann, dass sie regelmäßig erschien, und fügte hinzu, die Zeitschrift Wachtturm werde „kostenlos an die Öffentlichkeit auf der ganzen Welt verteilt, und jeder würde das sehen. Ich sehe [diese Lehre] nicht in den Zeitschriften Wachtturm.“ Es geht aber darum, dass sie gelehrt wird, nicht, ob sie „regelmäßig“ erscheint. Auf die Frage: „Erscheint die Lehre in Ihren Schriften?“ mit „Nein“ zu antworten, wäre gegen die Tatsachen.

Der Begriff „theokratische Kriegsführung“ ist der Ausdruck, den die Wachtturm-Gesellschaft selbst geprägt hat und regelmäßig verwendet. Im Watchtower Publications Index von 1930-1985 verweist der Begriff „theokratische Kriegsführung“ den Leser auf das Hauptthema „Krieg, geistiger“. Die offiziellen Wachtturm-Lehren, wie in dem offiziellen Wachtturm-Lexikon Einsichten über die Heilige Schrift (1988) und in vielen Artikeln im Watchtower (z.B. 1. Juni 1960, Seite 351, 1. Mai 1957, Seite 284, und 1. Februar 1956, Seite 78) zeigen, dass diese Lehre offiziell gültiges Dogma ist Die Existenz der Lehre abzustreiten ist eine Veranschaulichung für ihre Anwendung. Die Frage, ob jemand gerechtfertigt ist, wenn er unter einigen Umständen nicht die Wahrheit sagt, umging Schabow mit der Antwort: „Wir glauben fest, dass wir die Wahrheit sagen müssen.“ (Schabows Aussage, Seiten 762-763).

Ein weiterer Zeuge der Wachtturm-Gesellschaft, Walter Kobil, beantwortete die Frage: „Haben Sie in Ihren 60 Jahren, die sie Zeuge Jehovas sind, je zuvor von dieser Lehre [der theokratischen Kriegsführung] gehört?“ mit: „Nein, das habe ich nicht.“ Herr Kolb fragte dann Herrn. Kobil: „Wird sie gepredigt? Wird sie ausführlich in Ihrer Literatur besprochen?” (Man beachte wiederum den Gebrauch des Wortes „ausführlich“.) Kobil gab zur Antwort: „Nein, das wird sie nicht.“ Dann, als Erwiderung auf die Frage nach der Aussage über diese Lehre „vor zwei Tagen“, fragte der Anwalt: „Haben Sie über das Thema Nachforschungen angestellt?“ Kobil sagte:

Ja, das habe ich ... Ich war neugierig, über was er da geredet hat, so habe ich ausführlich nachgeforscht und eine Frage und eine Antwort darauf gefunden … „Fragen von Lesern” im Watchtower vom 1. Juni 1960, das ist 30 Jahre her … diese beiden Wörter erscheinen zusammen, theokratische Kriegsführung, und … die Frage war: Müssen wir immer die Wahrheit sagen, wenn wir vor Gericht aussagen oder mit Beamten zu tun haben? Und die … Antwort war, dass wir immer die Wahrheit sagen müssen. Die einzige Abweichung … vor Gericht oder im Zusammenhang mit Beamten … war, dass wir in dem Fall, dass das Leben eines Menschen in unserer Kirche in Gefahr steht, es vermeiden würden, die ganze Wahrheit zu sagen … Der Artikel findet also Anwendung auf das Leben unter totalitären Regierungen, und es ging da nur darum, Leben zu retten … Wir glauben, dass wir die Wahrheit sagen müssen, und wie gesagt, nur dann müssen wir nicht die Wahrheit sagen, wenn dadurch ... jemand in Lebensgefahr gebracht wird (Gerichtsprotokoll, Seiten 823-825).

Man beachte, dass Kobil nicht die Existenz der Lehre leugnete, sondern nur Besonderheiten nannte, wann es angebracht ist, sie anzuwenden. Das ist etwas ganz anderes, als zu sagen, es gebe diese Lehre nicht, wie das Gericht unterstellte. Tatsächlich sagt der Artikel nichts über das Retten von Leben, oder dass die theokratische Kriegsstrategie nur unter totalitären Regierungen Anwendung findet. Wie der Artikel deutlich macht, findet er auf alle Regierungen Anwendung (siehe Reed, 1997). Überdies räumte Richard Kolb, der Anwalt der Berufungsklägerin, in seinem Schlussplädoyer ein, die Berufungsbeklagten „bestritten nicht die Existenz der umstrittenen Lehre der Kirche von der [theokratischen] Kriegsstrategie“ (Schriftsatz der Kläger, Seite 2; Kursiv von mir).

In seinem Schlussplädoyer räumte der Anwalt der Beklagten ein, dass es die Lehre von der theokratischen Kriegsstrategie gebe, sagte aber, die Jury solle zu dem Schluss kommen, dass das nicht auf Kobils oder Schabows Aussage in diesem Verfahren Anwendung finde (Gerichtsprotokoll, Seiten 1037-1038). Warum sie nicht Anwendung finden sollte, wurde nicht belegt. Kolb machte in seinem Schlussplädoyer geltend, die Lehre besage, dass Zeugen „nicht ihre Freunde verpfeifen“ müssten (Gerichtsprotokoll, Seiten 1037-1038), was bedeutet, man müsse vor Gericht „nicht die ganze Wahrheit sagen“ – im Gegensatz zu dem Eid vor Gericht, der „die ganze Wahrheit“ fordert. Überdies erklärte die Berufungsklägerin

Herr Kobil ist sein ganzes Leben lang Zeuge Jehovas, [und hat] nie von dieser Lehre gehört, wie auch Schabow nicht, aber Kobil hat nachgeschaut, und sie fanden, dass unter bestimmten Umständen, wenn zum Beispiel dass Leben eines Mitglieds in Gefahr schwebt … wenn man aussagen und damit seine Freunde verpfeifen soll, dann braucht man das nicht zu tun. Ist das so etwas Schreckliches? Würden Sie nicht dasselbe tun? (Kursiv von mir). (Gerichtsprotokoll, Seiten 1037-1038)

Kobil sagte entgegen der Behauptung des Sachverständigen, dass die Zeugen Jehovas gelehrt werden, die Wahrheit zurückzuhalten, und daher weniger glaubwürdig seien, aus. Im Gegensatz zu dem, was die Wachtturm-Gesellschaft lehrt, erklärte Kobil, „der Berufungskläger nimmt Anstoß“ an der Aussage des Sachverständigen der Kläger, „was die Vorstellung von einer theokratischen Kriegsführung angeht“. (Seite 29 von Kobils Memorandum, einem Gegenschriftsatz des Memorandums der Kläger). Das Berufungsgericht stimmte Kobil offensichtlich teilweise zu und kam zu dem Schluss, dass der Sachverständige...

… auch über Einwände und die angebliche Lehre von der theokratischen Kriegsführung aussagen durfte. Gemäß [dem Sachverständigen] …, hänge die Kirche dem Isolationismus an. Dies ist ein Glaube, den viele Kirchenmitglieder haben, dass ihre eigene Kirche von Gott mehr begünstigt wird als andere. Doch [der Sachverständige] ... sagte aus, die angebliche Lehre der Zeugen Jehovas gehe insofern weiter, als die Kirche ihre Mitglieder in einer „Theokratischen Dienstschule“ angeblich lehrt, weil die Kirche von Gott begünstigt wird, sei es zulässig, Nichtmitglieder vor Gericht anzulügen, um die Kirche zu schützen (Eintrag entschieden am 14. August 1992, Seite A15, Kursiv von mir).

Dass das Gericht den Begriff „angebliche Lehre“ gebraucht, unterstellt, dass die Kläger nach Ansicht des Gerichts nicht überzeugend zeigten, dass es diese Lehre gibt und dass, selbst wenn das Gericht überzeugt worden wäre, es aufgrund der Vorschrift 610 eine Aussage über die Lehre von der theokratischen Kriegsführung nicht zugelassen hätte, obwohl Kobil und die Berufungsklägerin zugegeben hatten, dass diese Lehre verbreitet wird (Siehe Erwiderungsschriftsatz der Berufungsklägerin, Seiten 2-3 und Gerichtsprotokoll, Seiten 1037-1038).

Das Berufungsgericht kam in seinem Urteil zu dem Schluss, dass ein Zulassen der Aussage „bezüglich der angeblichen Lehre von der theokratischen Kriegsführung“ ein neues Verfahren nötig machen würdel (Seite A19, Kursiv von mir). Die spezielle, zur Debatte stehende Aussage, die fast Wort für Wort aus den offiziellen Wachtturm-Publikationen stammte, war, dass die Zeugen Jehovas sich „eher als Fremde und zeitweilig Ansässige in diesem Land“ ansähen und Nichtzeugen...

... als böse betrachtet werden, zumindest, solange sie noch keine Zeugen Jehovas sind. Daher glauben sie, sie stehen … in einer Kriegssituation mit den Menschen in diesem Land und in jedem anderen Land, und Teil ihrer Kriegsstrategie ist es, wenn jemand sie in den Zeugenstand bringt oder ihnen eine Frage stellt, und eine ehrliche Antwort auf diese Frage würde der Wachtturm-Gesellschaft schaden ... dann hat die Wachtturm-Gesellschaft sehr explizit festgelegt, wenn sie irgendetwas sagen, das der Wachtturm-Gesellschaft schadet, dann müssen sie sozusagen die Wahrheit zurückhalten. Sie dürfen niemandem die Wahrheit enthüllen, so ihre Worte, der es nicht verdient, die Wahrheit zu kennen oder zu erfahren (R.T. Seite 412).

Um dies zu verdeutlichen, sagte der Sachverständige in Beantwortung der Frage, wie diese Lehre vor Gericht Anwendung finde:

Wenn man Ihnen im Gericht eine Frage stellt, die die Wachtturm-Gesellschaft belasten oder schädigen kann, dann müssen Sie, in ihren Worten, die Wahrheit zurückhalten. Sie dürfen keine Informationen preisgeben, die der Wachtturm-Gesellschaft schaden könnten. Sie müssen alles in Ihren Kräften Stehende tun, um die Wachtturm-Gesellschaft zu schützen. Natürlich müssen Sie unter Eid die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen, und nach dieser Definition wäre das natürlich Lügen (R.T. Seiten 413-414, Kursiv von mir).

Die Wachtturm-Lehre (die alle Zeugen befolgen müssen, wollen sie nicht ausgeschlossen werden) war für Situationen ausgearbeitet worden, in denen jemand das Recht hat, etwas zu wissen, wie Enthüllungen gegenüber den Wachtturm-Ältesten oder einem künftigen Ehepartner. Die Wachtturm-Gesellschaft benennt eine Ausnahme von der Regel, dass man alles enthüllen sollte:

An sie muss ein Christ immer denken. Als Soldat Christi befindet er sich im theokratischen Krieg, und er muss besondere Vorsicht walten lassen, wenn er es mit Gottes Widersachern zu tun hat. So zeigt die Schrift, dass es für den Zweck, die Interessen Gottes zu wahren, angemessen ist, die Wahrheit vor Gottes Feinden zu verbergen (Watchtower, 1. Januar 1960, Kursiv von mir).

Der Wachtturm-Artikel fügt hinzu, in einer Situation, „in der er vor der Alternative steht, zu reden und seine Brüder zu verraten, oder nicht zu reden und das Gericht zu missachten, wird ein ... [Wachtturmanhänger] das Wohl seiner Brüder über sein eigenes stellen” (Watchtower, 1. Januar 1960, Kursiv von mir). Der Wachtturm definiert Lügen als „Unwahrheiten, die aus selbstsüchtigen Gründen geäußert werden und anderen Schaden zufügen“ (Watchtower, 1. Mai, 1957). Dieser Artikel sagt nichts über Situationen auf Leben und Tod, wie Kobil behauptet, sondern spricht nur davon, „seine Brüder zu verraten“.

Der Sachverständige besaß Exemplare dieser Wachtturm-Publikationen und paraphrasierte im Zeugenstand aus einem von ihnen. Angesichts der Definition der Gerichte von Lügen, „die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit und Worte mit der Absicht gebrauchen, zu täuschen“, zeigen sie, dass in diesem Fall Lügen mit im Spiel war (Lewis und Saarni, 1993, Seite 156).

Wenn man sich den Hintergrund der Vorschrift Nr. 610, die das Gericht anführte, ansieht, erkennt man, dass die Vorschrift wenig mit dem Fall zu tun hat. Historisch gesehen bezieht sich die Vorschrift zum Beispiel darauf, dass der Glaube, jemand sei von einer Krankheit genesen, benutzt wurde, um den persönlichen Glauben eines Zeugen vor Gericht auf Gebieten, die nichts mit dem Fall zu tun haben, lächerlich zu machen, oder auf den Glauben eines Atheisten, dass einige vielleicht die Glaubwürdigkeit eines Gerichtszeugen anfechten, der zufällig diesen Glauben hat (Ratcliffe, 1941). In diesem Fall ging es bei der Aussage nicht um einen Glauben oder eine Meinung, sondern um eine Lehre, die in offiziellen Wachtturm-Publikation offen verbreitet wird; eine Lehre, die jeder annehmen und praktizieren muss, wenn er nicht aus der Kirche ausgeschlossen werden will (Franz, 1983). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Herr Kobil Emma Kristons Glauben in seinem Schriftsatz als Zeuge der Klägerin lächerlich machte, indem er sagte, ihre Aussage „reiche an Unglaubwürdigkeit“, weil sie behauptete, ihr „Emphysem, das sie 45 Jahre hatte, sei durch die Bitte um eine Gebet an die Rundfunkstation Wings of Hearing [sic heilen] geheilt worden“ (Aussage Kobil, Seiten 23-24). Kobil fügte hinzu, ihre Aussage sei „so sehr daneben, dass sie nicht mehr das grundlegende Erfordernis einer kompetenten, glaubwürdigen Aussage“ erfülle. Heute glauben Millionen von Menschen, dass der Glaube heilen kann, und diese Art von Erwiderung scheint genau das zu sein, was Vorschrift 610 verhindern soll (Ratcliffe, 1941).

Diese Vorschrift leitet sich von dem früher einmal üblichen Glauben ab, nur die Furcht vor übernatürlicher Bestrafung könne bewirken, dass ein Zeuge sich an seinen Eid hält (Ratcliffe, 1941, Seite 339). Und aus genau diesem Grund, dass nämlich offenbar wird, ob ein Zeuge ein Atheist ist (oder eine andere Religion bekennt), ist eine derartige Frage verboten (Malek gegen Federal Ins. Co. 994 F.2d 49, 2. Bezirk, 1993). In diesem Fall war aber der Glauben von Kobil und Schabow ein wichtiger Teil des Falles, der in dem Verfahren aufgeworfen werden musste.

Eine Vorschrift aus Utah und ein Urteil eines New Yorker Gerichts sahen vor, dass Personen nicht aufgrund ihrer Meinung zur Religion von der Zeugenaussage ausgeschlossen werden dürfen, sondern dass diese Meinungen benutzt werden können, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen in Frage zu stellen (Ratcliffe, 1941, Seiten 336-337). Obwohl das Gericht im Fall Stanbro gegen Hopkins (28 Barb (N.Y.) 265 (1859)) entschied, dass Fragen zur Religion gestellt werden dürfen, um den Charakter und die Ehrlichkeit eines Zeugen bewerten zu helfen, haben die Gerichte in neuerer Zeit gemeint, religiöser Glaube oder Unglaube könne in einem Kreuzverhör nicht verwendet werden, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anzuzweifeln (Ratcliffe, 1941; Chadbourn, 1930). Die oft für diese Vorschrift gegebene Rechtfertigung ist, dass theologische Orthodoxie nicht als Prüfstein für Wahrheit dienen darf, und wenn ein Zeuge etwas anderes glaubt als die Jury, dann könnten Fragen in diese Richtung die Jury veranlassen, die Aussage zu schmälern.

Das Gericht unterstellte auch, einer der Zeugen-Jehovas-Ältesten, der in dem Fall aussagte, habe behauptet, dass die Wachtturm-Gesellschaft die theokratische Kriegsführung nicht lehre. Wenn das geschehen sei und die theokratische Kriegsführung tatsächlich Zeugen-Jehovas-Lehre sei, dann hätte der Älteste die Lehre doch wohl angewandt, um die Wachtturm-Gesellschaft zu verteidigen. Tatsächlich jedoch bestritt dieser Älteste die Lehre vor Gericht nicht, sondern behauptete nur, sie werde bei heutigen Gerichtsfällen in Amerika nicht mehr angewandt. Der andere Älteste war ausweichend und behauptete, was sehr unwahrscheinlich war, dass er die Lehre nicht kenne, auch wenn er schon seit fast einem halben Jahrhundert ein aktiver Zeuge sei.

Wie angemerkt, lehrt die Wachtturm-Gesellschaft in gedruckter Form, dass es richtig sei, Informationen vor Personen zurückzuhalten, von der sie glaubt, dass sie kein Recht haben, sie zu wissen, wenn dieses Wissen den Wachtturm-Interessen abträglich ist. Damit vergeht man sich gegen den Eid vor Gericht, der fordert, dass man „die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ sagt. In diesem Fall wären die Glaubenssätze der Wachtturm-Gesellschaft entscheidend, und in solchen Fällen machte ein Gerichtsverfahren keinen Sinn, wenn man die Auswirkungen der Lehre von der theokratischen Kriegsführung nicht abschätzen kann. Im Übrigen wäre die richtige Reaktion, wenn man nach dieser Lehre gefragt wird, die Wahrheit zu sagen, wie der Eid vor Gericht es erfordert, aber ein Zeuge Jehovas, der die Wachtturm-Lehren befolgt, würde diesen Eidestext nicht unbedingt ehren, da das Gericht doch zu Satans System gehört.

Das Gericht kam offensichtlich – zu Unrecht, wie ich meine – zu dem Schluss, die Lehre von der theokratischen Kriegsführung beeinflusse einen Zeugen, der ein Zeuge Jehovas ist, nicht in einem Maße, das seine Aussage fragwürdig machen würde. Überdies scheint das Gericht angedeutet zu haben, selbst wenn der Beweis erbracht worden wäre, dass sich die Lehre von der theokratischen Kriegsführung bemerkbar machte und die Aussage beeinflusste, hätte es dennoch die Sachverständigenaussage zu diesem Thema abgelehnt, weil „Aussagen über den Glauben oder die Meinungen von Zeugen in religiösen Dingen nicht zulässig sind, wenn damit gezeigt werden soll, dass wegen ihres Charakters der Wert der Aussage erhöht oder vermindert wird.“ Beide Entscheidungen laden meiner Ansicht nach zu schwerem Missbrauch in künftigen Gerichtsfällen ein und sollten im Falle Redman nicht getroffen worden sein.

Man betrachte zum Beispiel die Yahweh Ben Yahweh-Sekte, die lehrt, dass es richtig ist, zu morden, um ihre Kirche zu verteidigen (U.S. gegen Beasley 72 F.3d (11. Bezirk, 1996)). Wenn man ganz der Entscheidung des Supreme Court von Ohio folgen wollte, dann würde, wenn die Staatsanwaltschaft diese Lehre vor Gericht vorbringen würde, Vorschrift Nr. 610 besagen, dass das Urteil wegen Mord im Berufungsverfahren umgestoßen werden müsste. Das Gericht entschied, dass die Anhänger von Yahweh Ben Yahweh in wenigstens 14 Morde verwickelt waren und dass ihre religiösen Überzeugungen entscheidend waren, um die Beweggründe für die Morde festzustellen, eine Entscheidung, der die Gerichte Bestand gegeben haben (USA gegen Beasley, 72 F. 3d 1518 (11. Bezirk 1996) Auss.abgel., James gegen Vereinigte Staaten, 518 U.S. 1027, Berufungsverf., Vereinigte Staaten gegen Yahweh, 1996 U.S. App. LEXIS 24977 (11. Bezirk.), und Auss. abgel., Yahweh gegen Vereinigte Staaten, 519 U.S. 866 (1996)).

Die Gerichte entschieden auch, dass Lehren, die befürworten oder rechtfertigen, dass Abweichler umgebracht werden (die religiösen Lehren von Yahweh Ben Yahweh) zu Recht Gegenstand der Befragung seien. Überdies müssten die Gründe für einen Todesfall festgestellt werden, um zu entscheiden, ob eine Verurteilung wegen Mordes oder wegen Totschlags erfolgen muss. Das Bezirksgericht entschied auch, dass man sich nicht hinter seiner Religion verstecken kann, wenn man Verbrechen begeht, und zwar in Übereinstimmung mit dem Urteil des U.S. Supreme Court über die Religion im Falle der Peyote-Indianer (Employment Division, Dept. of Human Resources gegen Smith 494 U.S. 872 (1990)). Das Gericht im Fall Redman hat gutgeheißen, dass sich jemand hinter der theokratischen Kriegsführung versteckt. Andere Kommentatoren kamen zu dem Schluss, dass sowohl die Entscheidung des Berufungsgerichts als auch die des Supreme Court von Ohio einen Blankoscheck zum Lügen ausstellt, wenn sich das Lügen auf die Religion gründet, falls die Religion von der Staatsanwaltschaft vorgebracht wird:

Der Supreme Court von Ohio entschied im April 1994, Aussagen, dass Jehovas Zeugen die „theokratische Kriegsstrategie“ benutzen (d.h. wenn nötig, selbst vor Gericht täuschen oder lügen, um die Interessen der Organisation zu schützen), vor Gericht nicht verwendet werden dürfen. Dieses Urteil erlaubt den Zeugen Jehovas praktisch, im Namen der Religionsfreiheit vor Gerichten in Ohio zu täuschen (Raines, 1996, Seiten 29-30).