Wer heute einen Zeugen Jehovas zum Zivildienst befragt, wird zur Antwort bekommen, dass Zeugen Jehovas zwar den Wehrdienst ablehnen, aber durchaus bereit seien, an dessen Stelle Zivildienst zu leisten.

Und er wird vielleicht sogar hinzufügen, dass es schon immer eine reine Gewissensfrage gewesen sei, ob jemand Zivildienst leistet oder nicht. Dass Zeugen Jehovas früher nicht nur den Wehrdienst, sondern auch den Ersatzdienst verweigerten, wird er vermutlich damit begründen, dass der Ersatzdienst früher dem Verteidigungsministerium unterstanden hätte und ein Zeuge Jehovas es daher mit seinem christlichen Gewissen nicht vereinbaren konnte, als Ersatz für den Wehrdienst Zivildienst zu leisten.

Beide Aussagen entsprechen der offiziellen Wortwahl der Wachtturm-Gesellschaft. Und beide sind sie falsch. Das beweist jedenfalls ein ehemaliger Ältester, der die frühere Praxis der WTG gegenüber Zivildienstleistenden nicht mittragen wollte und die Konsequenzen zog.

Wie nachfolgendes Radio-Interview aus dem Jahre 1967 zeigt, unterstand nämlich der Zivildienst damals schon dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Und wie der Bericht eines Ältesten zeigt, sah die Praxis in den Versammlungen völlig anders aus, als uns die offiziellen Erklärungen der Wachtturm-Gesellschaft glauben machen wollen.

Wobei jeder Zeuge Jehovas selbst einschätzen muss, was er von einer Organisation zu halten hat, die ihn derart hinters Licht führt.

ABSCHRIFT VOM TONBAND

von Gerhard Hempel

(Mitschnitt einer Radio-Sendung - wahrscheinlich vom 01.05.1967 - v. H.S.)

Mod. = Moderator
Rep. = Reporterin
Ev. = ein evangelischer Pfarrer
ZJ. = Zeuge Jehovas

Mod.: Im Namen des Volkes, im Namen des Volkes - bestraft den Angeklagten - im Namen des Volkes ... bestraft in alle Ewigkeit. -Eine Sendung über die Problematik der Ersatzdienstverweigerung von Mara Haymann (die Schreibweise von Namen ist nicht immer sicher).

Rep.: Im Namen des Volkes ergehen in der Bundesrepublik jährlich etliche hunderttausend Urteile wegen kleinerer oder größerer Vergehen; wegen kleiner oder großer Verbrechen. Das Volk nimmt sie zur Kenntnis. Es liest davon in den Berichtsteilen des Lokalblattes...

Mod.: ... kleinere Prozesse fast untergehen; Prozesse wie dieser

  • Bonn: Ein Bonner Schöffengericht verurteilte gestern einen 21jährigen Matrosen aus Bonn wegen Ersatzdienstverweigerung zu drei Monaten Gefängnis. Der Matrose, der im November 1962 aus religiösen Gründen vom Wehrdienst freigestellt worden war, wurde am 1. August zum Ersatzdienst in die Klinik der Bonner Universität einberufen. Nach zwölf Tagen Arbeit in der Spülküche verweigerte er den Dienst, weil er durch das dort herrschende Milieu in seiner religiösen Überzeugung gefährdet wäre.
  • Köln: Zum zweiten Mal verweigerte ein 25jähriger in Köln den Ersatzdienst und musste sich nun wieder vor Gericht verantworten. Vor dem Kölner Schöffengericht erklärte er, nach seiner Ansicht könne er nicht ein zweites Mal für das gleiche Delikt bestraft werden. Das Gericht stellte jedoch fest, dass jede neue Verweigerung des Ersatzdienstes eine neue Tat sei und verurteilte ihn zu fünf Monaten ohne Bewährung
  • Kiel: Das Kieler Schöffengericht verurteilte am Donnerstag einen 23jährigen Bauschlosser, der ordinierter Prediger der Zeugen Jehovas ist, zu vier Monaten Gefängnis. Vor Gericht erklärte der junge Mann: Da die evangelischen und katholischen hauptamtlichen Geistlichen von jedem Wehrdienst befreit seien, könne er nicht einsehen, warum er als ordinierter Prediger der Zeugen Jehovas Wehrdienst leisten sollte.
  • Frankfurt: Ein Frankfurter Schöffengericht verurteilte am Montag einen 25jährigen als Kriegsdienstverweigerer anerkannten Zeugen Jehovas wegen Verweigerung des zivilen Ersatzdienstes in einem Krankenhaus zu der gesetzlichen Mindeststrafe von einem Monat Gefängnis.

Rep.: Lakonisch brachte vor einiger Zeit der "Stern" derartige Meldungen auf einen Nenner und formulierte forsch im Illustriertenjargon: Etwa achthundert Zeugen Jehovas entwickeln sich zu Dauergästen in deutschen Gefängnissen. Der katholische Bundesarbeitsminister Blank (CDU) besteht darauf, unbotmäßige Bibelforscher so oft hintereinander einsperren zu lassen, bis sie dem Gesetz gehorchen und zum zivilen Ersatzdienst antreten.

Einen dieser "unbotmäßigen Bibelforscher" wollen wir in unserer Sendung persönlich zu Wort kommen lassen. Vorher allerdings soll uns ein evangelischer Pfarrer, der Kriegsdienstverweigerer betreut, darüber Aufschluss geben, ob es außer den Zeugen Jehovas noch andere Verweigerer des zivilen Ersatzdienstes gibt.

Ev.: Es ist mir nicht bekannt, dass junge Leute aus dem Bereich unserer Kirche auch den Ersatzdienst verweigern. Die Kriegsdienstverweigerer, die ich bisher getroffen und angesprochen habe, waren alle bereit, den Ersatzdienst zu leisten.

Mod.: Und nun zu unserem "unbotmäßigen Bibelforscher". Der junge Mann ist 25 Jahre alt und von Beruf Schlosser und wohnt in Wiesbaden. Seit 1957 gehört er zu den Zeugen Jehovas.

Rep.: Als ihm am 28. August 1961 die Aufforderung zur Musterung zugeht, leistet er dieser wie das Gesetz es befiehlt Folge - stellt aber zugleich Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.

Mod.: Diesem Antrag gab der Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer am 9. März 1962 ohne Schwierigkeiten statt. Er war nun ein anerkannter Kriegdienstverweigerer und musste damit rechnen, zum zivilen Ersatzdienst herangezogen zu werden, der in der Regel in Krankenhäusern und sonstigen karitativen Einrichtungen abzuleisten ist.

Am 5. November 1963 - rund drei Jahre nach der Wehrerfassung - war es so weit. Es kam ein Brief aus Bonn vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Begann bisher die amtliche Korrespondenz stets mit "Sehr geehrter Herr" ... und endete auch immer mit "hochachtungsvoll", so wehte nun aus Bonn ein anderer Wind: "Aufforderung zur Dienstleistung nach § 4 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst. Nach dem genannten Gesetz wird der zivile Ersatzdienst von mir durchgeführt. Dem Willen das Gesetzgebers entsprechend,...

Rep.: Reichlich militant für eine Organisation, die sich ziviler Ersatzdienst nennt.

Mod.: Unser ZJ lehnte die Aufforderung zum zivilen Ersatzdienst ab. Aus Gewissensgründen. Darauf erstattete der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ein halbes Jahr später, am 15. Juni 1964 Strafanzeige nach § 37 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst.

ZJ.: Dem entsprechend wurde ich verurteilt mit einer Gefängnisstrafe von einem Monat.

Mod.: Nach Verbüßung der Strafe begann das Spiel von neuem.

Rep.: Am 2.4.65 Einberufung durch den Bundesminister für Arbeit...

Mod.: Acht Wochen später Strafanzeige nach § 37. Am 15.10.65 bzw. am 17.3.66 Verfahren vor dem Schöffengericht Wiesbaden.

ZJ.: Vor kurzem hatte ich die zweite Gerichtsverhandlung gehabt und da hätte ich drei Monate haben sollen - war allerdings ausgesetzt worden...

Rep.: Und welche Gründe haben Sie veranlasst, zunächst den Wehrdienst und dann auch den Ersatzdienst zu verweigern?

ZJ.: Ich habe Gewissensgründe angeführt. Und zwar habe ich mich auf die Bibel selbst berufen als Christ, und habe gezeigt, dass man als Christ in einem besonderen Verhältnis zu Gott selbst stehen muss. Und wenn man dieses Verhältnis wahren möchte, dann muss man automatisch verschiedene Konsequenzen ziehen, die sich ergeben, wenn der Staat irgendwelche Ansprüche an den Einzelnen stellt; habe gezeigt, dass Christen nur einem Herrn dienen können - entweder dem Staat oder aber als Christi Nachfolger. Ich habe das dann biblisch bewiesen und es wurde allerdings nicht anerkannt, weil es nach dem Grundgesetz keine Befreiung von dem zivilen Ersatzdienst aus Gewissensgründen gibt. Und dem entsprechend wurde ich dann verurteilt.

Rep.: Sind Sie als ZJ verpflichtet, den Ersatzdienst abzulehnen?

ZJ.: Nein. Es kann jeder einzelne tun wie er will. Die Wachtturm-Gesellschaft (gibt) keinerlei Richtlinien. Es ist eine Gewissensentscheidung, die jeder fällen muss!

Rep.: Sie würden also nicht aus Ihrer Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen werden, wenn Sie den Ersatzdienst trotzdem ableisten?

ZJ.: Nein das nicht. Es ist bekannt, dass verschiedene ZJ Ersatzdienst geleistet haben; allerdings haben die nachher später selbst zugegeben, entweder haben sie früher dieses Dienstverhältnis aufgegeben, (...?...). Sie wurden dennoch bestraft ... es ist ein Gewissenskonflikt, dem man sich aussetzt, und wenn man sich das von vornherein ersparen möchte, dann sollte man gleich konsequent handeln.

Rep.: Aber der Ersatzdienst ist doch eigentlich mehr ein Dienst am Menschen? ... die Menschen im Altersheim oder Krankenhaus pflegen ist doch nichts Schlechtes? Warum lehnen sie es trotzdem ab?

ZJ.: Ich lehne nichts ab, wenn es darum geht, meinem Nächsten Gutes zu tun. Wie sie selbst wissen ist der Ersatzdienstleistende dem Soldaten gleichgestellt. Es wird u.a. in dieser Broschüre gesagt...:

Ebenso wie der Dienst des Soldaten ist der zivile Ersatzdienst des Kriegsdienstverweigerers ein Dienst an der Gemeinschaft ...

Und man hat mir anheim gestellt, verschiedene karitative Einrichtungen zu benutzen und dort Dienst zu verrichten. Aber der Ersatzdienst bleibt und untersteht dem gleichen Gesetz wie der Soldat. Und es bleibt sich nun gleich, ob ich nun 18 Monate als Soldat diene oder 18 Monate als Ersatzdienstleistender. Ich stehe in diesem Falle 18 Monate lang direkt unter dem Gesetz des Staates - also unter der Gehorsamspflicht und ich muss das tun. Wenn ich es nicht tue, dann werde ich auch bestraft oder kann zur Rechenschaft gezogen werden. Und das kann ich nicht. Ich kann mit dem Staat kein enges Verhältnis eingehen, wenn ich auf der einen Seite das Verhältnis zu Gott habe und auf der anderen Seite das enge Verhältnis zum Staat.

Rep.: An diesem engen Verhältnis zum Staat, das der ZJ bei der Ableistung des zivilen Ersatzdienstes befürchtet und das er nicht eingehen zu können glaubt, entzündet sich der Konflikt. Es ist nicht so, als wären die ZJ Feinde des Staates. Sie sind ruhige Mitbürger, die ihrer Arbeit nachgehen und pünktlich ihre Steuern bezahlen. Aber damit hat sich der Fall. Sie sind jederzeit bereit, ihren Nächsten zu helfen, aber sie sehen sich nicht in der Lage, ein gesellschaftliches Engagement zu unternehmen. Sie treten keiner Partei bei, machen keinen Gebrauch von ihrem Wahlrecht und meiden überhaupt jede Verpflichtung, die über einen normalen, jederzeit kündbaren Arbeitsvertrag hinausgeht.

Mod.: Hier wird die Sache problematisch, denn üblicherweise will sich der Kriegsdienstverweigerer mit seiner Gewissensentscheidung gerade nicht außerhalb von Staat und Gesellschaft stellen. Pfarrer Hiegel meint dazu:

Was die ZJ anlangt, so möchte ich nicht über sie sprechen, ohne zunächst doch ein wenig den Hut vor ihnen zu ziehen. Denn wie die Leute dagestanden haben in der Hitlerzeit und wie sie heute dastehen in anderen Staaten, die ihnen grundsätzlich das Recht der Kriegdienstverweigerung nicht geben, ist doch einiger Achtung wert. Auf der anderen Seite ist es doch so, dass die Leute grundsätzlich den Staat verneinen und diese Staatsverneinung ist für einen evangelischen Christen indiskutabel. Er bejaht den Staat. Und ein echter Kriegsdienstverweigerer fällt seine Entscheidung staatsbejahend. Er will damit für sein Volk etwas tun. Warum sollte er da nicht in ein Altersheim gehen und alte Männer pflegen und wirklich etwas für sie tun? Auf der anderen Seite ist es natürlich schwer für eine Gesellschaft, staatsverneinende Leute einfach laufen zu lassen. Das sollte ihnen vielleicht zum Bewusstsein bringen, dass es schwierig ist, in einem Staat zu leben und gleichzeitig den Staat zu verneinen. Das ist eine inkonsequente Haltung.

Mod.: Und nun stehen sie sich gegenüber. Der ganz auf sein apolitisches Gewissen bezogene Einzelne und die Gesellschaft, die auf den organisierten Dienst ihrer Glieder nicht glaubt verzichten zu können und nicht verzichten will. Zeichnen sich in dieser Konfliktsituation überhaupt Möglichkeiten einer Lösung ab?

Rep.: Möglichkeit Nummer 1 kommt von den betroffenen Ersatzdienstverweigerern selbst:

ZJ.: In den verschiedenen Zeitungsberichten über verschiedene Prozesse, die gegen Ersatzdienstverweigerer geführt wurden, sagen die Leute übereinstimmend, dass sie bereit wären, einen freiwilligen Dienst am Nächsten an Stelle des Ersatzdienstes zu leisten.

Mod.: ... was stellen sie sich vor - wie sollte dieser Dienst aussehen?

ZJ.: Dieser Dienst im Krankenhaus, den könnte ich persönlich tun ... aber es ist kein Ersatzdienst. Denn jeder Bundesbürger ist verpflichtet eine gewisse Dienstleistung dem Staat zu erbringen, sei es der Militärdienst oder sei es der Ersatzdienst. Von dem Ersatzdienst wird niemand entbunden, kann niemand entbunden werden. Er muss diesen Dienst leisten. ... Soll ich ein Beispiel anführen?

... ein ZJ war Krankenpfleger in einem Krankenhaus (und wurde zum Ersatzdienst einberufen). Er sagte: Also meine Herren, ich arbeite bereits im Krankenhaus. Ich bin pflegerisch tätig. Ich helfe meinen Mitmenschen schon ... (zu ihm wurde gesagt): Sie müssen den 18monatigen Dienst ableisten.

Da hat er gesagt: Ja, was wollt ihr denn eigentlich? Wollt ihr erreichen, dass dem Nächsten geholfen wird, oder wollen Sie unbedingt durch gesetzlichen Zwang, durch eine Auflage, dass ein Bundesbürger 18 Monate dient und gehorcht?

Und obwohl er pflegerisch tätig war, hatte man ihn eingesperrt.

Mod.: Diese Lösung scheint in unserer Gesellschaft also nicht möglich zu sein. Als Alternative bleibt dann nur noch die Möglichkeit Nummer 2: Staatlicher Zwang. Gefängnis bis zum 45. Lebensjahr. Denn die Ersatzdienstverweigerer werden ja nach Verbüßung ihrer jeweiligen Strafe immer wieder neu einberufen und müssen, wird die Verweigerung aufrecht erhalten, immer wieder neu nach § 37 verurteilt werden.

Rep.: So viel Härte gegen Überzeugungstäter hat allerdings inzwischen bei der Justiz selbst Bedenken aufkommen lassen. Da die zuständigen Behörden daran festhalten, die Ersatzdienstverweigerer immer wieder von neuem einzuberufen, die Gerichte andererseits aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit immer neuer Haftstrafen für das gleiche Delikt haben, zumal in dieser Sache bereits das Bundesverfassungsgericht angerufen worden ist, versuchen einsichtige Richter, die wiederholte Aburteilung von Ersatzdienstverweigerern zu vermeiden. (Es kam zu folgendem Beschluss):

In der Strafsache wegen Dienstflucht wird das Verfahren ausgesetzt bis eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage ergangen ist, ob und inwieweit § 37 über den zivilen Ersatzdienst vom 31.1.1960 in der jetzt geltenden Fassung auf Wiederholungstäter nach geltendem Verfassungsrecht anwendbar ist. Es sind zur Zeit mehrere Verfahren zur Prüfung dieser Frage beim Bundesverfassungsgericht anhängig, so dass die Kammer von einer Vorlage absieht.

Rep.: So weit die erste Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden in dem Verfahren gegen unseren Gesprächspartner am 17. März d.J. (1966).

Mod.: Würde diese Überprüfung zu Ihren Ungunsten ausfallen, Sie also abermals wegen Dienstflucht verurteilt werden - würden Sie nach Verbüßung dieser Strafe abermals den Ersatzdienst verweigern, wenn Sie zu diesem aufgefordert würden?

ZJ.: Jawohl. Bereits bei der ersten Verhandlung, die ich hinter mich brachte, habe ich betont, dass ich auch, wenn sie mich noch so oft einsperren, ich nicht bereit bin, den Ersatzdienst zu leisten.

Mod.: Bereits ein knappes Jahr vor dem zitierten Beschluss des Landgerichts Wiesbaden versuchte der Deutsche Bundestag die verworrene Situation zu klären. Im Rahmen der Beratung eines Änderungsgesetzes über den zivilen Ersatzdienst war in zweiter Lesung ein SPD-Antrag angenommen worden, der besagte, dass Ersatzdienstverweigerer, die insgesamt 18 Monate im Gefängnis gesessen haben, nicht weiter zum Ersatzdienst einberufen werden sollen. Achtzehn Monate - so lange dauert bekanntlich der Wehrdienst. Aber in der entscheidenden Sitzung am 5. Mai 1965 wurde diese Änderung auf Antrag der CDU/CSU wieder rückgängig gemacht. Im Hammelsprung mit 143 Stimmen siegten die Unionsparteien über die 138 Stimmen der SPD und FDP. Zuvor jedoch waren im Plenum die Meinungen der Abgeordneten hart aufeinander geprallt.

Auszüge aus dem Protokoll der 179. Sitzung des 4. Deutschen Bundestages am 5. Mai 1965:

Abgeordneter Scheffmann (CDU):

Im Grunde ist es doch so, meine sehr verehrten Damen und Herrn, wir wollen doch mal folgendes sehen: Oberstes Gebot muss sein, auf dem Gebiet des zivilen Ersatzdienstes keine Sonderrechte zu schaffen. Ich bin der Meinung, dass man gegenüber der Bundeswehr eine solche Vergünstigung, so möchte ich sie bezeichnen, die man hier für Kriegsdienstverweigerer einführen will, dass man das nicht tun soll. Dass man hier in gleicher Weise - ich will nicht davon reden, von fortlaufender Bestrafung, das soll in gar keiner Weise vorgenommen werden - aber es muss doch endlich einmal auch klar gemacht werden, dass diese Kriegsdienstverweigerer, die ja praktisch diese staatliche Ordnung ablehnen, dass diesen Kriegsdienstverweigeren auch mal klar gemacht werden muss, wenn sie in dieser Gemeinschaft leben und die Gemeinschaft für sie sorgen soll, dass sie umgekehrt aber auch sich in der Gemeinschaft an dieser Ordnung zu fügen haben. Das möchte ich aber doch einmal ganz klar gesagt haben. Anders geht es doch wirklich nicht.

Abgeordneter Wolff (SPD):

Wie mein Kollege Jahn schon angeführt hat ... denjenigen, der aus Überzeugungsgründen den Ersatzdienst verweigert, wegen jeder neuen Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls immer wieder zu bestrafen. Wir meinen hier mit dem Strafrechtsausschuss, dass dieser gegenwärtige Rechtszustand wenig befriedigend ist. Zumal er dazu führen kann, dass die Summe der gegen ihn verhängten Strafen eine Höhe erreicht, die in keinem rechten Verhältnis mehr zu dem Verhalten des Täters steht, wenn man berücksichtigt, dass dies nur die Folge des aus religiöser Überzeugung ein für allemal gefassten Entschlusses ist. Die Antragsteller bekennen sich deshalb zu der Auffassung des Sonderausschusses Strafrecht, der den federführenden Ausschuss einstimmig empfohlen hat, an § 12 einen Absatz 5 anzufügen mit folgendem Wortlaut: Hat ein anerkannter Kriegsdienstverweigerer gegen ihn wegen Dienstflucht Freiheitsstrafe in einer Gesamthöhe von mindestens einem Jahr verbüßt, so wird er nicht mehr zum Ersatzdienst einberufen.

Bundes-Justiz-Minister Dr. Weber (CDU):

Ich begrüße es, dass eine so ernsthafte Debatte um Gewissensfreiheit und Gewissensnot geführt worden ist. Unser Grundgesetz hat diese Entscheidung des Gewissens in Artikel 4, Absatz 3 anerkannt. Dass daraus andererseits Konsequenzen entstehen, dass der Staat auf Ordnung halten muss, dass der Staat auf Gleichheit und gleiche Behandlung vor dem Gesetz bei gleichartigen Tatbeständen bestehen muss, ist ebenso klar. Der Grundsatz der Gleichberechtigung verbietet es, dass der Ersatzdienstpflichtige anders behandelt wird als der Wehrdienstpflichtige. Er verbietet es, beim Ersatzdienst die Möglichkeit der Einberufung nach mehrfacher Bestrafung wegen Dienstflucht gesetzlich zu beschränken, die entsprechenden Vorschriften im Wehrpflichtgesetz jedoch unberührt zu lassen. Besondere Gründe, die eine unterschiedliche Behandlung des Ersatzdienstpflichtigen im Verhältnis zum Wehrdienstpflichtigen erfordern und rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

Die bisherige Verwaltungspraxis erfordert im übrigen eine Regelung im Sinne des jetzt in zweiter Lesung beschlossenen § 12, Absatz 5 nicht. Nach meinen Erkundigungen liegt bisher kein einziger Fall vor, dass jemand mit 18 Monaten bestraft worden ist. Eine Bindung an eine bestimmte Gesamthöhe erscheint mir daher nicht zweckmäßig. Sie kann sich sogar zweckwidrig auswirken. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass viele Bestrafte im Falle einer erneuten Einberufung den Dienst aufnehmen. Und darin, Herr Kollege Dörr, liegt der Strafzweck. Er soll den Willen desjenigen, der sich der öffentlichen Ordnung entgegenstellt, brechen und die Betroffenen zur besseren Einsicht bringen.

Frau Dr. ... Nikolaus (FDP):

Ihre Rede zeigt sehr wenig Verständnis für die Gewissensnöte anderer, zeigt sehr wenig Verständnis für solche Menschen, die lieber ihr Leben hergegeben haben als dass sie ihrem Gewissen nicht Folge geleistet sind. Ich teile nicht die Auffassung der ZJ. Aber ich bin tolerant, so wie es dem Grundgesetz entspricht und bin deshalb der Auffassung, dass man auch diesen Menschen hier diese Gewissensnot zubilligen kann. Ich bitte deshalb um Annahme der beiden Anträge.

Abgeordneter Scheffmann (CDU):

Der Ersatzdienst ist Erfüllung der allen männlichen Staatsbürgern treffenden Wehrpflicht. Das muss doch einmal ganz klar herausgestellt werden. Es ist nicht einzusehen, warum 0,4% davon deutlich besser gestellt werden sollen, während die restlichen 99,6% schlechter gestellt sind. Und wenn hier von den ZJ gesagt wird, dass sie diesen Dienst verweigern und dass sie nicht daran denken oder dass sie etwa glauben, man wollte sie zu Märtyrern machen, das stimmt nicht. Sie mögen ihre Gründe dafür haben so wie sie wollen, das soll uns gleich sein. Wir werden niemals diese Gründe anerkennen und werden aus diesem Grunde auch diese Anträge beide, wie sie von ihnen gestellt sind, ablehnen...

Mod.: Nach dem Willen der Parlamentsmehrheit sollte sich also am Strafmaß und auch an der wiederholten Bestrafung von Ersatzdienstverweigerern nichts ändern.

Rep.: Es liegt nun am höchsten Gericht der Bundesrepublik die Lage zu klären und ein endgültiges Urteil zu sprechen.

Ein Jurist fasste für uns die Hauptargumente der Ersatzdienstverweigerer nochmals zusammen: Da ist 1. das religiöse Argument der ZJ, die keinen Dienst innerhalb eines besonderen Gewaltverhältnisses im Staat leisten wollen, weil dadurch ihr Bundesverhältnis zu Gott gestört würde, womit sie in einen Gewissenskonflikt kämen. Sie lehnen also jeden Dienst, der ihnen durch staatliche Normen auferlegt wird, ab, obwohl sie den gleichen Dienst freiwillig tun würden.

Das 2. Argument gegen eine Ableistung des Ersatzdienstes lautet, dass dieser praktisch eben doch eine indirekte Unterstützung des Kriegsdienstes darstellt. Denn dadurch, dass man innerhalb des Ersatzdienstes z.B. in einem Lazarett arbeitet, wird ein anderer Staatsbürger in seinem Aufgabenbereich frei und kann zum Kriegsdienst herangezogen werden. Wenn man diese Verquickung von Kriegs- und Ersatzdienst sieht, wird das Problem juristisch fassbar, weil ja nach dem Grundgesetz der Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert werden kann. Argumentiert man so, dann könnte man folgern, dass die Freiheit der Gewissensentscheidung, für die im Grundgesetz Raum gewährt wird, auch für den Ersatzdienst gelten muss, und dass demzufolge auch dieser berechtigterweise verweigert werden kann.

Rep.: Nun, der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat bereits entschieden, dass sich kein Kriegsdienstverweigerer auf die verfassungsrechtlich garantierte Gewissensfreiheit berufen kann, wenn er sich weigert, den zivilen Ersatzdienst ohne Waffe zu leisten.

Mod.: Das nun zu erwartende Urteil wird sich daher auf die Frage konzentrieren, ob der § 37 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst unbeschränkt auf Wiederholungstäter anwendbar ist. Ob also, zumindest theoretisch, eine Bestrafung in alle Ewigkeit, genauer gesagt bis zum 45. Lebensjahr weiterhin möglich sein soll.

Rep.: Übrigens soll seit dem Jahre 1962 noch eine andere Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe (anhängig sein). Sie bezieht sich auf den § 11 des Wehrpflichtgesetzes. Dieser § besagt nämlich, dass evangelische und katholische Geistliche sowohl vom Wehrdienst als auch vom zivilen Ersatzdienst befreit sind. Eine Lösung, die man, wenn man sie für richtig und glücklich hält, auch den hauptamtlichen Predigern anderer Glaubensgemeinschaften wie den ZJ zubilligen sollte.

Ev.: Wenn man das schon katholischen oder evangelischen Pfarrern zugesteht, sollte man es denen auch zugestehen. Der Meinung bin ich. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass es äußerst fatal ist, dass man nur von unseren Leuten - wir haben ein anderes Amtsverständnis als die katholische Kirche - ich finde es fatal, dass man uns frei stellt.

Wir haben uns da zu unbesehen in das Schlepptau einer ganz anderen Auffassung des geistlichen Amtes begeben und hätten besser darauf verzichtet, die evangelischen Pfarrer freizustellen. Denn ich kann bei meinen Gemeindegliedern Entscheidungen nur nachfühlen und ihnen letzten Endes nur dann einen echten seelsorgerischen Rat geben, wenn ich grundsätzlich in der selben Situation bin wie sie. Ich bedaure es, dass ich dieser Gewissensentscheidung nicht genau so ausgesetzt bin, wie die jungen Leute, die keine Pfarrer sind.

Mod.: Kriegsdienstverweigerung ist in Deutschland nicht populär. Die relativ geringen Zahlen der Kriegsdienstverweigerer beweisen das. Ersatzdienstverweigerung ist erst recht nicht populär und, wenn dieser Vergleich gestattet ist, auch noch wesentlich problematischer als die Verweigerung des Waffendienstes. Dennoch erschien uns eine Sendung über die Problematik der Verweigerung des zivilen Ersatzdienstes und über Probleme, denen sich die sehr geringe Minderheit der Ersatzdienstverweigerer gegenüber sieht, als dringend notwendig. Denn nicht zuletzt gehört die Art, wie eine Gesellschaft mit ihren Minderheiten auskommt, zu den wesentlichen Merkmalen einer Demokratie.

Abgeordneter Jahn (SPD):

Ich sage ganz offen, im Grunde genommen ist es betrüblich zu sehen, dass wir nicht so viel Mut, so viel freiheitliche Einstellung, so viel liberale Gesinnung aufbringen können und sagen: Eigentlich müssten wir es aushalten können, dass so eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Menschen wie hier, eine ernsthafte Auseinandersetzung für die unter Berufung auf das Gewissen völlig aus den notwendigen sonstigen staatlichen Maßnahmen ausnehmen. Nun, das scheint nicht möglich zu sein. Aber das, was sich jetzt auf Grund der geltenden Gesetzeslage tut, ist ein auf die Dauer nicht nur unbefriedigender sondern unerträglicher Zustand.

Die Wachtturm-Organisation kontra Zivildienst oder/und die Wachtturm-Organisation kontra Wahrheit

Weshalb habe ich das so provozierend überschrieben? Ganz einfach, weil es der Realität entspricht und weil immer wieder mal von "treuen" WT-Zeugen abgestritten wird, dass junge "Brüder" wegen Ableistung des Zivildienstes ausgeschlossen wurden.

Zur Sache: Noch bevor die Wachtturm Ausgabe vom 1. Mai 1996 ausgeliefert wurde - also bevor die "Verkündiger" sie in die Hände bekamen - wurde je ein Exemplar vorab zusammen mit einer Pressemitteilung versandt; und ebenso erhielten die Versammlungen ein solches zusammen mit einem Begleitschreiben, das ich hier abschreibe:

RELIGIONSGEMEINSCHAFT DER ZEUGEN JEHOVAS IN DEUTSCHLAND

AG : IDA 18. März 1996

AN ALLE ÄLTESTENSCHAFTEN

Liebe Brüder

Es ist ein besonderes Anliegen, weswegen wir Euch beigefügt die Wachtturm- Ausgabe vom 1. Mai 1996 und eine Pressemitteilung der leitenden Körperschaft zukommen lassen.

Der Wachtturm-Ausgabe könnt Ihr entnehmen, daß die leitende Körperschaft nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung biblischer Grundsätze und geschichtlicher Berichte zu einer erweiterten Erklärung von Römer 13 gekommen ist.

Dadurch gewinnen wir eine erweiterte Erkenntnis zu gewissen Pflichten dem Staat gegenüber, die sich auch auf den Zivildienst und andere zivile Dienste, die von jungen Brüdern gefordert werden mögen, erstrecken kann.

Nach sorgfältigem Studium der Bibel und mit Hilfe der Artikel werdet Ihr in der Lage sein, Fragen von Gliedern der Versammlung diesbezüglich zu beantworten, zumal sich grundsätzlich nichts daran geändert hat, daß jeder Zeuge Jehovas gemäß seinem eigenen Gewissen seine persönlichen Entscheidungen treffen muß, wenn er mit Fragen in Verbindung mit zivilen Diensten Konfrontiert wird.

Die beigefügte Mitteilung an die Presse ist ausschließlich zu eurer Kenntnisnahme gedacht. Sie ist nicht dazu bestimmt, an irgend jemand anders weitergegeben zu werden. Sollten Medienvertreter an euch herantreten - mit diesem Thema oder auch ganz allgemein -, dann bitten wir Euch, sie an die Informations-Abteilung in Selters zu verweisen.

In der Überzeugung, daß Jehova sein Werk weltweit vereint und zum Ruhm seines Namens durchführen läßt, senden wir Euch unsere ganz herzlichen Grüße der Verbundenheit.

Eure Brüder und Mitdiener

Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland

Aus besagtem Wachtturm (1. Mai 1996, Seite 20) nur folgendes:

Doch was ist, wenn der Staat von einem Christen für einen begrenzten Zeitraum einen zivilen Dienst verlangt, der Bestandteil einer staatlichen Dienstpflicht ist, die unter einer Zivilbehörde steht? Auch in diesem Fall muß der Christ eine persönliche Gewissensentscheidung treffen, nachdem er sich informiert hat. (...) Vielleicht empfiehlt es sich auch, mit reifen Christen in der Versammlung darüber zu sprechen. Eine Entscheidung muß dann jeder persönlich treffen (Sprüche 2:1-5; Philipper 4:5).

Was wäre, wenn die ehrliche Beantwortung dieser Fragen einen Christen zu dem Schluß kommen ließe, der zivile Dienst sei ein 'gutes Werk', etwas, was er im Gehorsam gegenüber der Obrigkeit ausführen kann? Das wäre seine Entscheidung vor Jehova. Die ernannten Ältesten sollten, wie alle anderen auch, das Gewissen des Bruders voll und ganz respektieren und ihn weiterhin als Christen betrachten, der in gutem Ruf steht. (...)

Das ist für jeden Betroffenen Zynismus in Reinkultur, weswegen ich es weder mir selbst noch anderen zumute, noch mehr daraus abzuschreiben. Doch schon der knappe Auszug wie auch der o.a. Brief bringen ganz klar zum Ausdruck, dass es bis dahin "anders" gehandhabt wurde. Und wenn es in dem Brief heißt, "zumal sich grundsätzlich nichts daran geändert hat", muss ich aus entsprechender Erfahrung befürchten, dass es noch immer "Ältestenschaften" gibt, die die Zivildienst-Aspiranten derart unter Druck setzen, dass sie nicht "eine persönliche Gewissensentscheidung treffen", sondern der Ältestenschaft "gehorchen", weil es ja "auch ein Gewissen der Versammlung gibt", wie es ein Ältester einmal formuliert hatte.

Nebenbei: In dem WT-Artikel fällt auf, dass nicht mehr von ZJ sondern von "Christen" die Rede ist. Und das alles nur, um die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erreichen!?  Jedenfalls zeigt sich, dass diese "Organisation" mit einem Federstrich das Gewissen ihrer Anhänger ein-, um- oder sogar ausschalten kann.

Doch jetzt zu der Frage, 'wie wurde mit dem Problem Zivildienst vor der Pseudo-Änderung vom Mai 1996 verfahren?'

Ich will versuchen, diese Frage so kurz wie möglich zu beantworten. Uns "Dienern"/"Aufsehern" wurde folgendes "implantiert": Der Ersatzdienst ist, wie der Name schon sagt, ein Ersatz für das, was wir ablehnen - daraus ergibt sich, dass wir auch den Ersatz ablehnen. Aber nicht nur das bestimmt unsere Haltung. Wir müssen diesen Dienst auch ablehnen, weil der Ersatzdienstleistende kaserniert untergebracht ist und nicht mehr frei über seine Zeit verfügen kann. Er könnte weder regelmäßig an den Zusammenkünften teilnehmen noch könnte er zu seinen gewohnten Zeiten in den Predigtdienst gehen. Also müsste er eine Einschränkung seines Gottesdienstes hinnehmen und damit dem Cäsar etwas geben was Gott gehört. Zudem erhält der ZDL "Sold" und ist damit den Soldaten gleichgestellt. (Ferner wurde bewusst gelogen:) Der ZDL untersteht der Bundeswehr. - All das wurde ausschließlich mündlich vermittelt, so dass es den WT-Zeugen nicht schwerfällt, das mit "gutem Gewissen" zu leugnen.

Was musste unternommen werden, wenn dennoch einer diesen Dienst ableistet? Zuerst musste versucht werden, ihn zu bewegen den Dienst zu kündigen, was bedeutete ins Gefängnis zu gehen. Wenn er trotzdem den Dienst mit gutem Gewissen ableistet, muss er ausgeschlossen werden. Aber das durfte auf keinen Fall so genannt werden, "weil die Gesellschaft sonst Schwierigkeiten vonseiten des Staates bekäme"(!?). Also erfand man wieder einmal eine "theokratischen Kriegslist": In solchem Fall wird der Versammlung bekannt gegeben: "Herr ... hat die Gemeinschaft des Volkes Gottes verlassen und wünscht nicht mehr ein Zeuge Jehovas zu sein".

Auch wenn der "Delinquent" noch so eindringlich beteuert, er wolle weiterhin ein Glied der Versammlung und ein ZJ bleiben - der Versammlung wurde vorgegaukelt, dass ihm nicht "die Gemeinschaft entzogen" wurde - er habe "durch sein Verhalten sich selbst ausgeschlossen". So ein Hohn! Das ist ganz einfach eine widerchristliche Hinterlist - ganz im Widerspruch zu Paulus (1. Thess. 2,3). Intern wird so etwas als "theokratische Kriegslist" bezeichnet(!?)

Aber noch etwas muss hier unbedingt erwähnt werden: Der "Angeklagte", steht stets ganz alleine den Aufsehern, die als "Rechtskomitee" fungieren, gegenüber (seltene Ausnahmen mag es geben). Er könnte also niemals Zeugen für sich benennen, während die "Rechtsprecher" der Versammlung stets mindestens zu dritt sind. Zudem wird den Aufsehern eindringlich "empfohlen", Ausgeschlossenen niemals etwas schriftlich in die Hand geben - so haben jene keinerlei brauchbare Beweismittel zur Verfügung. Das sind Praktiken derer, die den Anspruch erheben, die einzig wahren Christen zu sein!?

Etliche Jahre lang lief es mit den "Totalverweigerern" so: Einberufung zum Ersatzdienst - Ablehnung - Verurteilung - Gefängnis (6 Monate waren wohl die "Norm"; mitunter aber auch weniger). Strafe absitzen - Entlassung - erneute Einberufung - und alles geht wieder von vorne los. Bis wie oft einzelne auf diese Weise in Haft waren, ist mir nicht bekannt. Das ging wohl so bis um 1970(?). Diese Praxis wurde offenbar besonders von der CDU/CSU forciert. Jedenfalls mehrten sich allmählich die Stimmen gegen diese Vorgehensweise, wie aus einem Mitschnitt einer Radio-Sendung (wahrscheinlich 1967) hervorgeht; hier einige Auszüge davon:

Der katholische Bundesarbeitsarbeitsminister Blank (CDU) besteht darauf, unbotmäßige Bibelforscher so oft hintereinander einsperren zu lassen, bis sie dem Gestz gehorchen und zum zivilen Ersatzdienst antreten. Einen dieser "unbotmäßigen Bibelforscher" wollen wir in unserer Sendung persönlich zu Wort kommen lassen. [...] Der Mann ist 25 Jahre alt und ist Schlosser und wohnt in Wiesbaden. Seit 1957 gehört er zu den Zeugen Jehovas. (...)

Dann wird berichtet, dass er am 28. August 1961 zur Musterung ging und gleichzeitig Antrag auf Anerkennung als Krigsdienstverweigerer aus Gewissensgründen stellte. Dem wurde am 9. März 1962 ohne weiteres stattgegeben. Am 5. November 1963 Einberufung; Ablehnung aus "Gewissensgründen"; verurteilt zu einem Monat Gefängnis. Nach Verbüßung begann das Spiel von neuem. Der ZJ schilderte seine Begründung für die beharrliche Ablehnung. Dann weiter wörtlich:

Sind Sie als ZJ verpflichtet, den Ersatzdienst abzulehnen? - Nein, es kann jeder einzelne tun wie er will - es ist eine Gewissensentscheidung, die jeder einzelne fällen muss! - Sie würden also nicht aus Ihrer Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen werden, wenn Sie den Ersatzdienst trotzdem ableisten? - Nein!

Das soll zunächst mal ausreichen.

Wie leichtfertig da gelogen wird! Ich kann mir nicht vorstellen, dass er tatsächlich in Unwissenheit geantwortet hat. Er hat nämlich hier wie auch in der Folge genau nach den Vorgaben (wohlgemerkt: ausschließlich mündlichen!) der WT-Organisation geantwortet.

Solche und ähnliche öffentliche Debatten mögen dazu geführt haben, dass es zwischen der Wachtturm-Gesellschaft und dem Staat zu einer Art Kuhhandel gekommen ist. Es kam zu folgender Übereinkunft: Die Wachtturm-Organisation "erlaubte" den Jungen Brüdern, dass sie für zweieinhalb Jahre eine reguläre Arbeit in einem Krankenhaus, Altenheim oder dgl. bei normaler Arbeitszeit und Bezahlung annehmen. Also in Einrichtungen, in denen sie auch Zivildienst ableisten könnten. Das ist nichts anderes als Ersatzdienst für den Ersatzdienst. Ferner "erlaubte" die WT-Gesellschaft, dass sie sich "freiwillig" für zehn Jahre Dienst bei Einrichtungen des Zivil-/Katastrophenschutzes verpflichteten. Und von Seiten des Bundesamtes für den Zivildienst wurde darauf verzichtet, jene, die einen dieser Dienste aufnehmen, zum Zivildienst einzuberufen. Wieder praktizierte die WTG eine Spitzfindigkeit, die mit christlichen Prinzipien ebenso wenig vereinbar ist wie Atheismus mit Gottesglaube.

Nun zu meinen direkten Erfahrungen. So weit ich mich erinnern kann, gab es in "unserer" Versammlung bis etwa 1970 nur einen einzigen Fall, in dem einer wegen Totalverweigerung ins Gefängnis kam - und zwar zweimal je sechs Monate. Nach seiner Entlassung war seine Laufbahn als ZJ zu Ende. Jene, die ihm beibrachten, diesen Dienst zu verweigern, ließen ihn sowohl bei den Gerichtsverhandlungen als auch im Gefängnis im Regen stehen. Noch heute schäme ich mich, dass ich nicht ganz offen gegen diese Praxis Stellung bezogen hatte, denn schon lange vor dem hatte ich sie als falsch angesehen. Aber etwa 10 Jahre nach diesem "Fall" handelte ich dann ganz offen nach meinem Gewissen. Und das lief wie folgt ab:

Ein junger Bruder, der mir sehr nahe steht, trat am 2. April 1979 mit völlig gutem Gewissen in einem Altenheim den Zivildienst an. Niemand in unserer Versammlung nahm daran Anstoß. Noch in der selben Woche nahm er in der dortigen Versammlung an der "Dienstzusammenkunft" teil und ging noch am selben Wochenende mit einem dortigen Bruder in den Predigtdienst. Doch bereits am Abend jenes Tages sagte der Wachtturm-Studien-Leiter ganz schroff zu ihm: 'Wenn du Zivildienst leistest, bist du für uns wie ein Ausgeschlossener; du darfst dich nicht melden'. - Erste Sanktion ohne Anhörung!?

Unverzüglich rief der dortige VA (ein Sonderpionier) beim hiesigen VA an: 'Der macht ja Zivildienst; da müsst ihr was unternehmen'. Daraufhin kommt der ganz aufgeregt und ratlos zu mir und wusste nicht, was in solchem Fall zu tun sei. U.a. sagte er zu mir, er müsse sich erst mit anderen Ältesten besprechen - was offensichtlich "gute" Wirkung bei ihm hatte.

Zwei Tage später kommt ein anderer Ältester zu mir und meinte, (der ZDL) sei da in etwas hineingeschlittert. Der Ersatzdienst sei ähnlich anzusehen wie die Sache mit dem Wasser, das die drei Männer unter Einsatz ihres Leben für David geholt hatten. David aber sah es als das "Blut dieser Männer" an, weswegen er sich weigerte es zu trinken (1. Chron. 11:19). - Um es gleich vorwegzunehmen: das war der absolut einzige Versuch, in dieser ganzen Angelegenheit ein biblisches Argument anzuführen!?

Jedenfalls ließ der ZDL keine Zusammenkunft aus - entweder dort oder an den Wochenenden in seiner Heimatversammlung [was er sogar beibehielt, nachdem er ausgeschlossen war - unbegreiflich für mich und andere]. Doch jetzt weiter der Reihe nach.

Zum 15. April lud der VA den ZDL und (ausgerechnet) mich zu einer Besprechung ein. Außerdem war noch ein zweiter Ä. anwesend; einiges aus dem Gespräch. Der zweite Ä.: "Wenn jeder in diesen Dingen nach seinem eigenen Gewissen entscheiden wollte, könnten wir ja gleich aufgeben; wir wären dann wie jene, die sagen, jeder solle nach seiner Fasson selig werden".

Der VA: "Was willst du dann machen, wenn der Zivildienst zu Ende ist? Du kannst dann nicht einfach kommen und sagen, 'so, ich bin fertig, es tut mir leid, nehmt mich wieder auf'. Das wäre für einen Hurer oder Ehebrecher einfacher; er könnte bereuen und dann durch sein Verhalten beweisen,..."

An diesem Vormittag gab man dem ZDL noch etwas Bedenkzeit, aber: "wir müssen baldigst, möglichst noch heute Abend, endgültig Bescheid von dir haben, denn wir müssen ja den Brüdern in Konstanz den Stand der Dinge mitteilen". Diese "Besprechung" wurde als "privates Gespräch" bezeichnet. Am Abend hatte der ZDL der Dringlichkeit halber seine Entscheidung kundgetan, er wolle den Zivildienst bis zum Ende ableisten und ließ dem VA wissen: "Anders zu entscheiden, müsste ich mein Gewissen vergewaltigen". Außerdem sagte er mir, dass er bei der noch bevorstehenden Komitee-Verhandlung nicht dabei sein wolle. Das sagte ich dem VA, worauf dieser sagte: "Dann soll er sich schriftlich erklären - aber möglichst bald". - Also schrieb der ZDL folgendes:

An die Ältestenschaft der Versammlung Donaueschingen

16.4.79

Nach der gestrigen Besprechung, Br. P.H. und G.S. mit mir durchführten, möchte ich folgende Erklärung abgeben:

In Übereinstimmung mit meinem christlichen Glauben habe ich mich geweigert, mich für den Kriegsdienst ausbilden zu lassen. In der Bibel finde ich viele Grundsätze, so dass es für mich in dieser Hinsicht absolut keine Zweifel gibt.

Nun lebe ich einem Land, in dem es die Möglichkeit gibt, vom Kriegsdienst befreit zu werden. In der Bundesrepublik Deutschland besteht die Möglichkeit auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.

Wer als solcher anerkannt ist, ist verpflichtet Ersatzdienst zu leisten. Möglichkeiten dazu sind z. Zt.:

  1. 30 Monate in einem Krankenhaus, Pflegeheim o.ä. zu arbeiten....
  2. Die Verpflichtung zu 120 Monaten Dienst in einer Einrichtung wie Katastrophenschutz, THW, ABC-Trupp o.ä. (dabei handelt es sich um Dienst, der neben der gewöhnlichen Arbeit zu leisten ist).
  3. 16 Monate Dienst bei einer vom Bundesamt für den Zivildienst zugewiesenen Stelle.

Bei meiner Verhandlung vor dem Prüfungsausschuß für Kriegsdienstverweigerer wurde ich gefragt, ob ich bereit wäre, Ersatzdienst zu leisten. Dies habe ich bejaht, jedoch mit der Einschränkung, daß es sich um Arbeiten handeln muß, die meinem christlichen Gewissen entsprechen.

Am 22.2.79 erhielt ich vom Bundesamt ... die Einberufung zum Parkwohnstift Rosenau in Konstanz. ... So wurde ich bei Dienstantritt am 2.4.79 der Hausmeisterei zugeteilt und verrichte seither Arbeiten, die mein Gewissen in keiner Weise belasten.

Bei der eingangs erwähnten Besprechung sowie vorherigen Gesprächen wurden u.a. folgende Einwände gegen meine Entscheidung erhoben: Mit dem Zivildienst wird der Grundsatz der Neutralität verletzt, weil er militärischen Charakter hat; z.B. erhält der Zivildienstleistende "Sold". Das trifft in meinem Falle nicht zu, denn ich habe unmittelbar nach Erhalt des Anerkennungsbescheides ... meinen Wehrpass zurückgegeben.

Was die Bezeichnung "Sold" betrifft, müßte jeder Bruder, der Beamter ist, eine Tätigkeit ausführen, die "militärischen Charakter" hat, denn alle Beamten erhalten "Sold" lt. Besoldungsgruppen.

Aber über den ZDL verfügt der Staat, denn er wird "einberufen", und außerdem kann er nicht über seine Freiheit verfügen. Wer würde über mich verfügen, wenn ich beim THW ö.ä. Einrichtungen meinen Ersatzdienst ableisten würde? Wer bestimmt denn jeweils die Dienst- oder Einsatzzeiten solcher Einrichtungen? Unter umständen sogar eine zentrale Bundeswehrdienststelle!

Was meine Freiheit betrifft, könnte ich wohl in einem allgemeinen Arbeitsverhältnis die Arbeitszeit selbst bestimmen? - Wohl kaum. - Auch in einem Krankenhaus wäre es schlecht möglich Sonntags- und Nachtdienst zu verweigern. Könnte ich die Dienstzeiten bei Feuerwehr, THW, Katastrophenschutz u.a. selbst festlegen? - Bestimmt nicht!

Aber ich kann über meine Freizeit von Arbeitsschluß bis 23 Uhr und an Wochenenden völlig frei verfügen. Am Montag, 2.4.79 begann ich meinen Dienst in Konstanz; bereits am Donnerstag suchte ich den Königreichssaal auf; am Samstag ging ich mit den dortigen Brüdern in den Predigtdienst. Daran hätte sich nichts geändert, wenn Ersatzdienst gleich Ersatzdienst wäre.

Im Laufe der Besprechung wurden als Argumente keinerlei biblische Grundsätze angeführt, sondern nur was die Gesellschaft/Organisation verlangt und außerdem bestimmte Formulierungen des weltlichen Gesetzgebers.

Mir wurde vor Augen geführt, daß ich zwar frei nach meinem Gewissen entscheiden müsse; aber wenn ich den Zivildienst fortsetze, wäre es unumgänglich, daß der Versammlung bekanntgemacht werden muß: "...hat die Organisation verlassen und wünscht nicht mehr ein Zeuge Jehovas zu sein."

Auf meine Frage, wo denn über das, was die Gesellschaft verlangt, etwas geschrieben steht, wurde gesagt: Es gibt nichts derartiges, weil damit Schwierigkeiten von Seiten der weltlichen Regierung zu befürchten wären(?). Sind wir eine Geheimorganisation oder im Untergrund, so daß wir uns auf mündlich weitergegebene Anweisungen stützen müßten?

Außerdem wurden Auszüge aus einem Gesetzblatt vorgelesen und dann zu mir gesagt: "Durch diese Auszüge müßtest du deine Ansicht ändern." Schließlich wurde mir gesagt, daß ich diese Sache noch einmal überdenken und dann endgültig Bescheid geben solle.

Für den Fall, daß ich den Zivildienst aufgebe, wolle man mir Hilfe leisten, eine entsprechende Arbeit zu finden. Aber ich müsse mich damit abfinden, daß ich eventuell eine Arbeit bekäme, die mich mitunter am gewohnten Besuch der Zusammenkünfte und dem Predigtdienst hindern würde. - Wie ist das vereinbar mit o.a. Hinweis, daß beim Zivildienst meine christliche Freiheit beschnitten sei?

Nachdem ich nun über all das in aller Ruhe gebetsvoll nachgedacht habe und auch Auszüge aus dem Gesetzblatt nochmals durchgelesen habe, bin ich zu dem Entschluß gekommen, den begonnenen Dienst fortzusetzen. Ich bemühe mich aufrichtig im Glauben zu wandeln und keinen Verstoß gegen Gott und Menschen zu begehen (Apg. 24:16). Doch ich kann beim besten Willen nicht verstehen, daß mit zweierlei Maß gemessen wird, indem eine Art des Ersatzdienstes als mit christlichen Grundsätzen unvereinbar bezeichnet wird (jedoch ohne bibl. Begründung), andere Arten dagegen anders beurteilt werden. Und das nur, weil der "schlaue Gesetzgeber" es entsprechend formuliert hat.

Da die Konsequenzen für mich zufolge meiner Entscheidung von Euch oder der Organisation vorprogrammiert sind, muß ich alles weitere Euch überlassen. Doch möchte ich eindeutig feststellen, daß ich nicht den Wunsch habe, mich von der Organisation zu trennen. Stattdesen ist es mein ernsthaftes Verlangen weiterhin ein Zeuge Jehovas zu sein. Wie Ihr die vorgesehene Formulierung für die Bekannmachung vor der Versammlung mit Eph. 4:25 in Harmonie bringen könnt, sei Euch überlassen.

Abschließend möchte ich Euch bitten, bei Eurer Entscheidung Matth. 7:1,2 nicht außer acht zu lassen. Da, wie schon erwähnt, das weitere vorprogrammiert ist, wollt Ihr bitte diesen Beschluß ohne meine Anwesenheit fassen. Ich werde Eure Entscheidung respektieren und mich bemühen, niemand in der Versammlung (auch in Konstanz) in Verlegenheit zu bringen.

Meine Hoffnung ist, daß es für mich bald möglich sein wird, wieder ein anerkanntes Glied der Versammlung zu werden. Es ist mir unfaßbar, daß für einen Hurer oder Ehebrecher mehr Aussicht auf Barmherzigkeit bestehen sollte, als für mich, der ich mich in aller Aufrichtigkeit bemühe vor Gott und Menschen ein reines Gewissen zu bewahren.

Mit freundlichen Grüßen

gez.: Unterschrift

Und so ging es dann weiter: Am 11.5.79 war es endlich so weit; ein Aufseher gibt der Versammlung bekannt, "dass Herr (der ZDL) die Gemeinschaft des Volkes Gottes verlassen hat." - Es ist schon bemerkenswert, dass auf den zweiten Teil der "Formel" verzichtet wurde; also zumindest gewisse, wenn auch nur schwache Skrupel? Weil danach etliche den ZDL immer noch die Hand gaben, wurde das streng beobachtet und dann die betreffenden persönlich "unterwiesen", so dass nach einiger Zeit es niemand mehr wagte...

Unverzüglich schrieb ich einen Brief an die Ältesten, wovon ich jedem der sieben "Säulen" eine Kopie zukommen ließ. Von den 7 Seiten diese Briefes einige Ausschnitte:

... habt Ihr Euch wirklich an die Bibel und an das gehalten, was der Sklave sagt? Habt Ihr ein ebenso gutes Gewissen wie (der ZDL)? ... Einmal brachte man eine auf frischer Tat ertappte Ehebrecherin zu Jesus, ... Ihr wißt so gut wie ich, daß das geschriebene Gesetz gegen sie sprach ... Auch das Resultat jener Begebenheit kennt Ihr: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein"...

Schlagt doch bitte im "Vergewissert" Seite 224 auf; unter "Gemeinschaftsentzug" werden ganz konkrete Grundsätze aufgeführt:

Inwiefern würde (der ZDL) die Reinheit der Versammlung gefährden, wenn er nicht hinausgetan worden wäre???

Seite 225: In welcher Hinsicht beeinflußt sein Wandel das Ansehen der ganzen Versammlung vor Jehova negativ??? [nach weiteren ähnlichen Hinweisen/Fragen]:

Gemäß 1. Kor. 5:13 schreibt Paulus: "Entfernt den bösen (Menschen) aus eurer Mitte" - Könnt Ihr mir erklären, worin die Bosheit (des ZDL) besteht?

Von Jesus Christus steht geschrieben, daß er "das geknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen wird" (Matth. 12:20). Wird aber hier nicht ein "Rohr" geknickt u n d zerbrochen - zumindest versucht?

w 15.5.1962 Seite 319 Leserfrage: "Wie sollte ein Christ zum zivilen Bevölkerungsschutz und zu Strahlenschutzräumen eingestellt sein? - J.W., Vereinigte Staaten

Christen halten alle Gesetze des Cäsars, die zu Gottes Gesetz nicht im Widerspruch stehen. Die Mitwirkung bei Luftschutzübungen widerspricht keinem Gesetz Gottes, obwohl gewisse pazifistische Bewegungen dagegen sind. Dasselbe gilt für städtische Verordnungen, die von Hausbesitzern den Bau von Strahlenschutzräumen verlangen. Da die Unterstützung solcher Maßnahmen von einem Christen nicht verlangt, daß er für irgend etwas Stellung bezieht oder zu den Waffen greift, wird seine Neutralität dadurch nicht verletzt. Solche Maßnahmen dienen lediglich der Erhaltung des Lebens, und der Christ darf ihnen daher ruhig entsprechen. Er sollte sich jedoch nicht verpflichtet fühlen, mehr zu tun, als das Gesetz in dieser Hinsicht verlangt."

Natürlich weiß ich, daß sich dies nicht auf den Zivildienst unseres Falles bezieht. Bestimmt läßt sich aber der hier aufgestellte Grundsatz auf unseren Fall übertragen. Welchem "Gesetz Gottes wiederspricht" (sein) Dienst im Altenheim?

In welcher Hinsicht wird von ihm verlangt, "für irgend etwas Stellung zu beziehen oder zu den Waffen zu greifen"? Wieso wird durch diesen Dienst seine Neutralität verletzt?

Im "Merkheft für Zivildienstpflichtige" heißt es u.a.:

"Der Dienstleistende hat Anspruch auf ungestörte Religionsausübung. Die Teilnahme an Gottesdiensten ist freiwillig. Der Dienstleistende darf sich im Dienst nicht zugunsten oder zuungunsten einer politischen Richtung betätigen...

Der Dienstleistende darf nicht als Werber für eine politische Gruppe wirken, indem er Ansprachen hält, Schriften verteilt oder als Vertreter einer politischen Organisation arbeitet."

Oder gilt das aus dem Wachtturm nicht mehr, weil es schon 17 Jahre alt ist? Gilt heute eine andere Erklärung des Sklaven? Wenn ja, dann zeigt sie mir!

[dann nahm ich Bezug auf das WTG-Buch "Das Leben hat doch einen Sinn", Seite 126 Abs. 29:]

... Wir sollten immer wieder um Hilfe beten, bis wir deutlich verstehen, wie wir zu handeln haben (Lukas 18:2-5). Wenn wir das getan haben, kann niemand mit Recht unsere Entscheidung, die wir gewissenhaft getroffen haben, kritisieren, denn jeder "steht oder fällt seinem eigenen Herrn (Gott). In der Tat, er wird zum Stehen veranlaßt werden, denn Jehova kann veranlassen, daß er steht" (Römer 14:4,10,12)."

Das eben zitierte ist doch nicht etwa nur Theorie, etwa was in der Praxis nicht anwendbar ist? Sind wir bereits so an "Überlieferungen" gebunden, daß damit Gottes Wort ungültig wird? (Matth. 15:3)

Es wäre gut, Jesu Worte gemäß Matth. 23:23 nicht nur im Hinblick auf andere zu lesen, sondern sich darüber Gedanken zu machen, ob sie nicht etwa in übertragenem Sinne auf uns selbst angewandt werden müssen. Gestattet mir bitte, diesen Vers in abgewandelter Form wiederzugeben:

Ihr besucht fleißig die Zusammenkünfte der Versammlung, tragt zum Programm bei, beteiligt euch am Predigtwerk, befolgt die Anweisungen der Organisation; "aber ihr habt die gewichtigeren Dinge des Gesetzes außer acht gelas sen, nämlich das Recht und die Barmherzigkeit und die Treue. Diese Dinge hätte man tun, die anderen Dinge jedoch nicht außer acht lassen sollen."

... Kann wirklich noch das ungeschriebene Dogma aufrecht erhalten werden:

Ersatzdienst (Zivildienst) bedeutet Kompromiß; verletzt die Neutralität eines Christen? Akzeptiert werden kann dagegen: Ersatzdienst in Form einer zehnjährigen Verpflichtung in einer Einrichtung mit paramilitärischen Aufgaben ... oder zweieinhalb Jahre selbstgesuchte Arbeit bei vollem Lohn in einer Einrichtung, bei der man auch Zivildienst leisten kann - allerdings für enorm weniger Geld. [bemerkenswert ist, dass etwa zwei Jahre danach auch diese zehnjährige Verpflichtung "verboten" wurde.]

Und das soll einer verstehen?! Irgendwo steht etwas vom "Geist eines gesunden Sinnes" geschrieben:

Zu (dem ZDL) wurde gesagt, daß er zwar frei nach seinem Gewissen entscheiden müsse, aber wenn er den Zivildienst fortsetze, wäre es unumgänglich, der Versammlung bekanntzumachen, was ja nun inzwischen geschehen ist...

Dies alles habe ich geschrieben, um Euch damit einen Anlaß zu geben, diese Sache nochmals gründlich zu überdenken --- alles weitere möchte ich dann durch unseren Herrn Jesus Christus in Jehovas Hände legen.

Donaueschingen, 18. Mai 1979

gez: handschriftlicher Gruß und Unterschrift

Keiner der sieben Ältesten, denen ich eine Kopie dieses Briefes zukommen ließ, hat mich daraufhin angesprochen - ob es keiner wagte? Oder ob keiner in der Lage war, darauf zu antworten? Oder waren sie nicht "autorisiert"?

In gewissen Abständen ließ ich der Ältestenschaft noch einige "Anregungen" zukommen, ließ mich aber im Königreichssaal nicht mehr blicken. Weil ich keinerlei Antwort erhielt, ließ ich mich hinreißen und sandte alles an die "leitende Körperschaft" - und das trotz abschreckender Erfahrungen. Den "Dienstweg" einhaltend schrieb ich am 22.12.1979 per Einschreiben an: >Jehovas Zeugen - Leitende Körperschaft - c/o. Wachtturm-Gesellschaft - Postfach 5920 - 6200 Wiesbaden 1

Im Anschreiben vermerkte ich: >sicherlich habe ich doch unmißverständlich adressiert, so daß diese Post nicht in Wiesbaden hängenbleiben dürfte.< - Wen wunderts, sie blieb doch in Wiesbaden hängen; und statt der erbetenen Empfangsbestätigung schrieb mir am 27.1.1980 der Sonderpionier, der den ZDL zum Kündigen des Dienstes überreden wollte:

Als Antwort auf Deinen Brief vom 22.12.1979 an die leitende Körperschaft c/o Wachtturm-Gesellschaft in der Sache, die (den ZDL) betrifft, hat mich die Gesellschaft beauftragt, mit Dir persönlich zu sprechen, um Dir zu helfen, ihren Standpunkt in dieser Sache zu erkennen.

Am 2.2.1980 besuchte er uns, ging aber nicht auf einen einzigen Punkt aus meinem o.a. Brief ein. In den 6(!) Stunden, die er bei uns saß, hatte er - der Sondervertreter einer Bibel-Gesellschaft - nicht einmal den Reißverschluss seiner Bibelhülle aufgezogen!?

Alle meine Versuche scheiterten offensichtlich an versteinerten Herzen - oder vielleicht ist es gar nicht so abwegig: scheiterten an Betonköpfen. U.a. ließ ich sie noch wissen:

Für mich ist es jedenfalls unbegreiflich, daß ich es mit einer Gemeinschaft oder Organisation zu tun habe, die die Wahrheit hat, in der Wahrheit wandelt und die Wahrheit verkündet - wenn ich aber Argumente anführe, die von dieser Organisation stammen bzw. normalerweise von ihr anerkannte werden, sind sie für den betreffenden Fall ungültig - ist das nicht sonderbar?

Noch viel gäbe es zu schildern, was zeigt, wie kaltschnäuzig die WT-Zeugen von ihrer "Mutter- Organisation" direkt oder indirekt, jedenfalls wider besseres Wissen, belogen werden. - Um als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden, scheint es dem "Sklaven"/der "leitenden Körperschaft" nichts auszumachen, opportunistisch vorzutäuschen - nach X-Jahrzehnten des Unrechts - "nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung biblischer Grundsätze und geschichtlicher Berichte" herausgefunden zu haben, was einfachen Verkündigern schon eh und je klar war. Bestimmt eine zuverlässige "leitende Körperschaft" - oder eher eine Körperschaft, die Leiden schafft?!

Zum Schluss: Einige Zeit nach dem der ZDL seinen Dienst geleistet hatte, wurde er gegen Ende 1980 wieder aufgenommen. Und ich wurde am Faschings-Dienstag (Faschingsscherz?) 1982 mit ziemlich lächerlichen Begründungen ausgeschlossen - obwohl ich also schon zwei Jahre nicht mehr dazugehörte.

Das habe ich nicht etwa geschrieben, weil ich "Schlamm" aufwühlen möchte, sondern weil immer wieder "loyale" WT-Zeugen behaupten, es wäre niemand wegen dem Zivildienst ausgeschlossen worden.