Wenn von sexuellem Kindesmissbrauch unter Zeugen Jehovas die Rede ist, fällt meist auch der Name William H. Bowen. Der ehemalige Älteste, der mittlerweile wegen seiner Aktivitäten ausgeschlossen wurde, ist Gründer der Organisation silentlambs.

Im Mittelpunkt steht dabei die Website www.silentlambs.org.

Nur wenige Wochen nachdem er den silentlambs March zur Weltzentrale der Zeugen Jehovas in Brooklyn, New York organisiert hatte, kam er auch nach Deutschland, um unter anderem der hiesigen Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft einen Besuch abzustatten.

Am Samstag, dem 12. Oktober 2002 traf sich eine kleine Gruppe an Sektenaufklärern am Bahnhof von Niederselters im Taunus. Mit von der Partie waren Jutta Birlenberg, Gründerin von KIDS e.V. (Kinder in destruktiven Sekten) in Leverkusen, sowie Nora Herzog, Henriette Banscher und Stephan E. Wolf von der Sektenaussteiger- und Betroffenen-Initiative AUS/STIEG e.V. in Jockgrim/Pfalz. Sie waren gekommen, um William H. Bowen bei seinem Besuch der Deutschland-Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft in Selters zu begleiten.

Bill, wie William H. Bowen mittlerweile innerhalb der Aussteiger-Szene genannt wird, war unter anderem nach Deutschland gekommen, um einer jungen Zeugin Jehovas Beistand zu leisten, die als kleines Kind von ihrem Vater missbraucht worden war. Sie hatte, wie schon viele andere Betroffenen in ähnlichen Situationen die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass weder die Ältesten ihrer Versammlung, noch die Zeugen Jehovas als Organisation bereit waren, gegen den Täter vorzugehen. Die Mutter der jungen Frau hat sich zwischenzeitlich von ihrem Mann getrennt, der weder ausgeschlossen noch sonstwie zur Rechenschaft gezogen wurde und weiterhin als angesehener zeuge Jehovas von Haus zu Haus geht.

Bowens Absicht war es, die Wachtturm-Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen, dass es auch in Deutschland zahlreiche Missbrauchsfälle gibt und dass es höchste Zeit für die Wachtturm-Gesellschaft ist, ihre bisher praktizierte Verhaltensweise gegenüber Opfern und Tätern zu überdenken.

An der Pforte der Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft bat Bowen um ein Gespräch mit Werner Rudtke, Vorstandsmitglied der Wachtturm-Gesellschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland. Dieser wurde vom Pförtner ans Telefon geholt und Bowen erklärte seine Absicht. Er bat um ein klärenden Gespräch zu diesem bedrückenden Thema, über das der Leiter der Rechtsabteilung der Wachtturm-Gesellschaft in Selters, Uwe W. Herrmann, erst jüngst in einem Fernsehinterview gesagt hatte: "Uns, der Religionsgemeinschaft in Deutschland sind solche Fälle für Deutschland nicht bekannt".

Rudtke wusste sofort, mit wem er es zu tun hatte. Er gab sich betont freundlich distanziert, brach aber nach wenigen Minuten das Gespräch mit dem Hinweis ab, dass seine Englischkenntnisse nicht ausreichend wären und er einen anderen Gesprächspartner holen wolle. Bowen bemerkte seinen Begleitern gegenüber, dass er durchaus nicht den Eindruck hätte, Rudtke verstehe ihn nicht und bezeichnete das Vorgehen als Hinhaltetaktik. Er hielt es auch für bemerkenswert, dass man ihn trotz mehrmaliger Aufforderung zu einem persönlichen Gespräch draußen in der Kälte warten ließe und nicht die geringsten Anstalten mache, ihn zumindest ins Innere des Gebäudes zu bitten.

Es verging rund eine Viertelstunde, bis sich der angekündigte Gesprächpartner meldete. Nicht etwa persönlich, sondern ebenfalls nur am Telefon. Er stellte sich als Hans Obermeier vor. Auch er wusste offensichtlich genau, mit wem er es zu tun hatte und ließ sich auf ein knapp zehnminütiges Gespräch mit Bowen ein. Bowen legte dabei ausführlich dar, was sein Anliegen ist. Er brachte zum Ausdruck, dass er es als einen großen Fehler betrachte, wie die Zeugen Jehovas mit Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs umgingen. Wobei er vor allem die Tatsache anprangerte, dass solche eindeutig kriminellen Handlungen lediglich intern behandelt würden, anstatt das einzig Richtige zu tun und die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten.

Bowen verwies auf eine interne Kartei in der Wachtturm-Zentrale in Brooklyn, USA, in der über 23.500 solcher Fälle registriert wären. Sein Gesprächspartner sagte aus, dass es sich dabei vorwiegend um ein amerikanisches Problem handle, für das auch die amerikanische Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft zuständig sei. Hier in Deutschland hingegen seien nur einige wenige Einzelfälle bekannt. Worauf Bowen erwiderte, dass dies nicht stimmen könne, denn bei seiner Organisation silentlambs hätten sich auch aus Deutschland eine ganze Reihe von Missbrauchsopfern gemeldet.

Obermeier verwies erneut auf die amerikanische Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft und sagte, dass man hier in Deutschland lediglich deren Anweisungen ausführe. Er solle sich daher direkt an Brooklyn wenden.

Zum Abschluss des Gesprächs fragte William H. Bowen seinen Gesprächspartner, ob er ihm ein kleines Geschenk überreichen könne. Dies könne er gerne tun, kam die Antwort, er solle es einfach beim Pförtner zurück lassen. William H. Bowen überreichte ein kleines Stofftier in Form eines Lamms - Symbol für die zigtausend schweigenden Schafe Gottes, die Opfer sexueller Übergriffe wurden und von der Organisation, der sie absolutes Vertrauen entgegengebracht hatten, im Stich gelassen worden sind.